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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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bei Nacht irgendwie neu aufluden, wie ein Akku. Wieder fühlte sie das dringende Bedürfnis zu beten, genau wie an dem Nachmittag, an dem sie Dobbs und die Frau aus der Kapelle hatte kommen sehen.
    «Ich mache kein Licht an», flüsterte George. «Ich möchte keine, äh   … unerwünschte Aufmerksamkeit erregen.»
    Kurz schaltete er auch seine Taschenlampe aus. Nun schimmerte nur noch das kleine Ewige Licht über dem Wandtabernakel, in dem die Krankenkommunion aufbewahrt wurde: Wein und Hostien in einem Silbergefäß. Merrily hätte sich am liebsten davorgekniet.
    Es war vollkommen still in der Kirche.
    «Also los.» George knipste seine Lampe wieder an, und sie folgten ihrem tanzenden Strahl an der Marienkapelle vorbei ins nördliche Querschiff, wo das große Bleiglasfenster über der provisorischen Stellwand schimmerte, hinter der das Grabmal St.   Thomas Cantilupes zerlegt worden war. George ließ den Lichtstrahl über eine Reihe von Plakaten zur Geschichte Cantilupes wandern, die an die Stellwand gepinnt worden waren – demzufolge war er ein überaus weiser und fürsorglicher Bischof gewesen, der standhaft gegen das Böse in all seinen Gestalten gefochten hatte.
    George blieb stehen und rief barsch: «Thomas?» Es klang, als habe er das nicht gewollt, als sei der Ruf aus ihm herausgepresst worden.
    Merrily überlief ein Schauer.
    Thomas?–
als habe er den Geist Cantilupes angerufen. Und das hatte er vielleicht auch.
    Keine Antwort.
    Merrily sah Sophie an. «Sind Sie sicher, dass er immer noch   …»
    George versuchte mit seiner Taschenlampe durch den Spalt zwischen Tür und Trennwand zu leuchten.
    «Das ist bald alles wieder verschwunden», sagte George. «Sie setzen das Grab nächste Woche wieder zusammen.»
    Die Kette war durch den Rahmenspalt der Türfassung nach innen gezogen worden, also musste Dobbs – oder jemand anders – immer noch dahinter sein.
    Merrily sagte: «Spüren Sie irgendetwas?»
    «Ich spüre, wie langsam ein Riesenärger in mir hochkommt, ehrlich gesagt», murmelte Sophie. «Warum macht er nicht mehr   … was er vorhin gemacht hat? Sie müssen ja glauben, wir hätten Sie in so einer schrecklichen Nacht nur zum Spaß hierhergerufen.»
    «Nein. Die Atmosphäre, Sophie   … die Atmosphäre ist irgendwie   … ich weiß nicht   … in Unordnung.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Ich weiß nicht. Ich war noch nie nachts hier.»
    Sie hatte ein Gefühl, als wären Oberleitungskabel gekappt, durchgehackt worden. Als hingen sie jetzt von oben herunter, immer noch geladen mit elektrischer Spannung und sehr gefährlich.
    «Thomas?» George rüttelte an der Sperrholztür. «Thomas, hier ist George. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um Sie, alter Junge.»
    «Es ist etwas passiert», sagte Merrily plötzlich. «Können Sie die Tür aufbrechen?»
    «Thomas!» George hämmerte mit einer Hand im Lederhandschuh gegen die Trennwand. «Sind Sie dadrin?»
    «Brechen Sie die Tür auf!»
    Er drehte sich zu ihr um. «Wir sind hier in einem Gotteshaus, Mrs.   Watkins.»
    «Vielleicht können Sie die Kette aufbiegen.»
    «Ich bekomme die Kette ja nicht mal zu fassen.»
    «Dann treten Sie die Tür ein.»
    «Ich   … Das kann ich nicht.»
    Merrily zog eilig ihre Jacke aus. «Dann gehen Sie ein paar Schritte zurück. Ich mache es.»
    «Nein, ich   … Thomas! Himmel!» George legte ein Ohr an den Spalt zwischen Trennwand und Tür. «Halt   … Warten Sie   … Ich höre etwas.»
    Merrily erstarrte.
    «Ich höre ihn atmen», sagte George. «Hören Sie es auch?»
    Sie drehte sich mit dem Rücken zu der Stellwand und kontrollierte ihren eigenen Atem. Sie rieb sich über die Augen.
Denk praktisch, denk rational.
Als Merrily sich wieder umdrehte, starrten Sophie und George sie erwartungsvoll an. Und die Luft in dem hohen Querschiff war immer noch von unsichtbaren, zerschnittenen Kabeln verseucht.
    «Also gut.» George begann seinen Überzieher aufzuknöpfen. «Ich mache es.»
    Er trug grobe schwarze Stiefel. Doc Martens vermutlich, mindestens Größe sechsundvierzig. Mit diesem Schuhwerk konnte er vermutlich die gesamte Trennwand zum Einsturz bringen.
    Er reichte Merrily die Taschenlampe. In ihrem Licht sah sie, dass seine braunen Augen vor Angst weit aufgerissen waren und ein bisschen Speichel in seinem Bart glitzerte.
    «Christus sei bei uns», hörte Merrily sich sagen.

19
Kostümfest
    Sirenen heulten, blaue Lichter zuckten – es sah auf eine brutale Art schön aus in all dem Schnee   –, und der

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