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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Der große Kanonikus, der gute zehn Jahre älter war als der Bischof, wirkte nach dieser Strafpredigt wie ein gemaßregelter Schuljunge. «Es tut mir leid, Herr Bischof.»
    «Holen Sie ein bisschen Schlaf nach. Wir reden morgen darüber. Merrily   …»
    «Bischof?» Sie ärgerte sich über die Art, in der er mit George gesprochen hatte. Er war derjenige, der Dobbs die Sakramente gespendet hatte, er war bei ihm geblieben, um ihm Mut zuzusprechen und ihn zu beruhigen.
    Der Bischof sagte: «Was hat Kanonikus Dobbs genau getan, als Sie ihn gefunden haben?»
    «Er hatte einen Schlaganfall, Bischof», sagte Merrily erschöpft.
    Mick Hunter schwieg.
    «Tut mir leid», sagte Merrily, «es war eine anstrengende Nacht.»
    «War es das? Ich verstehe. Wir unterhalten uns am Montag. Dieser Vorfall wird ja sicherlich Auswirkungen auf Ihre Situation haben.» Er drehte sich um und ging in Richtung der Kathedrale.
    «Ich dachte schon, er würde etwas über die unerforschlichen Wege Gottes sagen», murmelte Merrily. «Zum Beispiel wenn es darum geht, dem neuen Regime die Gegner aus dem Weg zu räumen.»
    «Er hat Joggingschuhe an», sagte Sophie unkonzentriert. «Seine Füße müssen völlig durchweicht sein.»
    «Gummistiefel würden nicht zu seinem Image passen.»
    «Es ist viel mehr als ein Image, Merrily», sagte Sophie leise. «Ich dachte, das wissen Sie. Er ist noch sehr jung. Eines Tages wird er ein großer Mann sein, glaube ich.»
    Eines Tages wird er vermutlich Erzbischof sein
, dachte Merrily.
Dass er ein großer Mann wird, bezweifle ich allerdings.
    Aber sie hatte schon genug gesagt.
    «Danke, dass Sie gekommen sind», sagte Sophie, «auch wenn es offenkundig keine sehr gute Idee war, Sie zu rufen.»
    «Sophie   …» Merrily warf einen Blick über die Schulter zur Kathedrale. «Als George sagte, Dobbs würde zu Thomas Cantilupe sprechen, was hat er damit gemeint?»
    Die Frage war Sophie unangenehm. «Spielt das jetzt noch eine Rolle?»
    «Ja, ich denke schon.»
    «Das war Georges Vermutung. Ich dachte, er redet mit sichselbst. Thomas, verstehen Sie – sie heißen ja beide Thomas. Es war, als ob er   … sich vielleicht schon unwohl fühlte und sich selbst dazu bringen wollte, durchzuhalten.»
    «Was hat er genau gesagt?»
    «Na ja, eben ungefähr so etwas. Einen Satz weiß ich noch genau: ‹Bitte Gott, halte aus, Thomas.› Und dann hat er angefangen auf Latein zu murmeln.»
    «Wie ist er denn hineingekommen? Hat er einen Schlüssel?»
    «Das muss er wohl.»
    «Kommt er nachts oft alleine hierher?»
    «Es   …» Sophie seufzte. «Das erzählt man sich.»
    «Und was erzählt man sich sonst noch?»
    «Dass er von Sankt Thomas Cantilupe richtig besessen ist. Ich weiß, dass er sich intensiv mit der Kirche des Mittelalters beschäftigt hat, also hat er vielleicht nach einer Art intensiverem Kontakt mit dem Heiligen gesucht, auf spiritueller Ebene. Ich möchte nicht   …»
    «Sie meinen, weil das Grab zum ersten Mal seit über hundert Jahren geöffnet war, hat er gedacht, es wäre leichter, mit dem Heiligen in Verbindung zu treten? Sie müssen mir ein bisschen helfen, Sophie. Ich verstehe es noch nicht.»
    «Ich weiß nicht, was ich sagen soll», sagte Sophie. «Es erscheint mir nicht richtig, jetzt darüber zu reden, wo der arme Mann vermutlich im Sterben liegt. Ich meine, George hat ihm die
Sakramente
gespendet.»
    «Sophie, sehe ich das richtig? Sie haben mich gerufen, weil Sie und George dachten, Kanonikus Dobbs versucht, mit einem toten Heiligen Verbindung aufzunehmen?»
    «Ich
weiß nicht
, Merrily.» Sophie drehte die Enden ihres Schals umeinander. «Verstehen Sie, ich wollte doch nur Schutz   … Ich weiß nicht einmal genau, was oder wen ich schützen wollte. Den Bischof? Kanonikus Dobbs? Oder einfach die Kathedrale? Irgendwiescheint alles etwas mit der Kathedrale zu tun zu haben, oder? Ich   …» Sie stampfte mit den Füßen auf, wie um ihren Standpunkt zu betonen. «Ich arbeite für die Kathedrale.»
    «Gibt es   … gibt es irgendein Problem in der Kathedrale? Ist es das, was Sie mir sagen möchten?»
    Vielleicht sollte sie mit George sprechen, der immer noch mit zwei Polizisten neben ihrem Einsatzwagen stand.
    «Können wir uns darüber   … ein andermal unterhalten?», fragte Sophie.
    «Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir vertrauen.»
    «Ich vertraue Ihnen, Merrily. Deshalb habe ich Sie ja angerufen. Und jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil Sie so schrecklich müde aussehen.

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