Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
bischöflichen Sekretariat. Es ist mir entsetzlich unangenehm, Sie zu stören, aber wir haben ein Problem – in der Kathedrale. Wäre es vielleicht möglich, dass Sie rüberkommen?»
    Große Schneeflocken trieben gegen die Fensterscheibe. Merrily setzte sich auf. Es war in diesem Zimmer noch nie so kalt gewesen.
    «Was ist passiert?»
    «Es   … es geht um Kanonikus Dobbs. Ich möchte am Telefon lieber nichts weiter dazu sagen.»
    Merrily knipste ihre Nachttischlampe an. «Ich brauche einehalbe Stunde. Vielleicht auch etwas mehr, je nachdem, wie ich bei dem Schnee vorankomme.»
    «O Gott, ja. Daran habe ich gar nicht gedacht. Seien Sie vorsichtig.»
    «Wir sehen uns dann gleich.»
    Als sie aus ihrem Schlafzimmer kam, stand Jane auf dem Treppenabsatz. «Ich habe das Telefon gehört.» Sie trug ihren Bademantel und hatte offenbar noch nicht geschlafen.
    «In der Kathedrale gibt es irgendein Problem.»
    «Und was hat das mit
dir
zu tun?»
    «Das weiß ich eigentlich selbst nicht.»
    «Soll ich mitkommen? Sieht ziemlich ungemütlich aus da draußen.»
    «Wie kommst du denn auf die Idee? Du gehst zurück in dein Bett.»
    «Und was ist, wenn du stecken bleibst? Bei dem Wetter weiß man nie, und es dauert megalange, bis die vom Straßenamt reagieren – so drei Tage, schätzungsweise.»
    «Das Auto ist zuverlässig. Es passiert schon nichts.»
    «Es geht um so eine Exorzismus-Sache, stimmt’s?»
    «Ehrlich, ich weiß es nicht.»
    «Immer diese Heimlichtuerei», sagte Jane, inzwischen wieder hellwach. «Gegen eure Exorzisten-Truppe würde der SAS jeden Preis für Transparenz am Arbeitsplatz gewinnen.»
     
    Warum hatte sie gedacht, dass in der Kathedrale alle Lichter brennen würden? Vielleicht einfach, weil sie es sich so gewünscht hatte: eine heimelige Vorstellung.
    Merrily parkte in der Broad Street in der Nähe der Bücherei. Die Uhr auf dem Armaturenbrett, die immer fünf bis zehn Minuten vorging, zeigte kurz vor zwölf. Sie war nur quälend langsam vorangekommen und hatte das Fenster heruntergekurbelt, um denZigarettenrauch hinaus- und die arktische Kälte hereinzulassen, damit sie wach blieb. Sie hatte die längere Strecke östlich des Wye genommen, weil es dort immer ein bisschen Verkehr gab und man in Ausnahmefällen sogar auf einen Schneepflug hoffen konnte, falls irgendwer beim Straßenverkehrsamt zufällig den Wetterumschwung bemerkt hatte. Die Straße war von gefährlich glattem Schneematsch bedeckt gewesen, und von den Seiten her hatten sich die Bäume mit ihrer weißen Last wie riesige Blumenkohlköpfe darübergeneigt.
    Merrily fragte sich zum wiederholten Mal, was passiert sein mochte. Sie schloss den Volvo ab, streifte ihre Handschuhe und ihre Kapuze über und überquerte die stille weiße Broad Street. Nirgends war jemand zu sehen, nicht mal ein Betrunkener. Keinerlei Verkehr. Das Stadtzentrum bot einen seltenen Anblick: Alles wirkte licht und feierlich, aus dem blauschwarzen Himmel rieselten sternenfunkelnde Schneeflocken, es war die reinste Weihnachtspostkarte. Merrilys Schritte klangen durch den Schnee gedämpft. Sie fühlte sich sehr auffällig. Kein Zeichen vom Bischof oder den Leuten des Bischofs. War nicht einmal eine Frau neben der Kathedrale vergewaltigt worden? War nicht das letzte Mal, als sie nachts gerufen worden war   …?
    Christus sei bei mir, Christus sei in mir.
    Der Turm der Kathedrale ragte über ihr empor, die Wege und Rasenflächen waren unter der Schneedecke verschwunden, ein weißer Schutzgürtel um Gottes Festung. Doch das war die gesamte Verteidigung in dieser Nacht – die Kanoniker und Kirchendiener schliefen irgendwo in den Gebäuden der Klosteranlage. Es war niemand da.
    «Merrily!»
    Sophie hastete um die Ecke der Kathedrale in Richtung der nördlichen Pforte. Sie folgte dem tanzenden Schein einer Taschenlampe, die von einem großen Schatten neben ihr gehalten wurde.
    Merrily atmete wieder normal.
    «Gott sei Dank, dass Sie da sind.» Die Sekretärin des Bischofs wohnte keine fünf Gehminuten entfernt in einer beschaulichen viktorianischen Villa. Sie trug einen langen Schaffellmantel, und ein paar weiße Haarsträhnen fielen unter einem Wollschal heraus. «Wir haben uns gerade überlegt, ob wir nicht doch Michael rufen sollten.»
    «Aber ich dachte, der Bischof   …»
    «Er weiß nichts von dieser Sache», unterbrach Sophie sie. «Kennen Sie George Curtiss?»
    «Hallo, Mrs.   Watkins. Ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet.»
    «O ja. Hallo.» Er war einer der

Weitere Kostenlose Bücher