Mittwinternacht
Krankenwagen fuhr von der Broad Street verkehrswidrig quer durch den Festungspark.
Merrily stand mit Sophie vor der St.-Johns-Pforte und fühlte sich überflüssig.
Sogar in diesem Zustand hatte sich Dobbs auf den Steinfliesen aufgebäumt, als er sie gesehen hatte. Ein Arm hing kraftlos an ihm herab, und eine Seite seines Gesichts erinnerte an eine geschmolzene Wachsfigur. George Curtiss hatte sich um ihn gekümmert und vorgeschlagen, dass sie und Sophie vom Büro im Torhaus aus Hilfe riefen.
Merrily hatte sich kurz umgesehen, bevor sie aus der Kathedrale gehastet waren, und gesehen, wie sich George Curtiss etwas aus dem Wandtabernakel unter dem Ewigen Licht nahm.
«Die Sterbesakramente.» Sophie zitterte. «Oh, lieber Gott, er hat um die Sterbesakramente gebeten.»
Merrily glaubte nicht, dass Dobbs in seiner Verfassung in der Lage war, um irgendetwas zu bitten. Vermutlich hatte George diese Entscheidung selbst getroffen. Und vermutlich war sie sehr angemessen.
Sie hielt sich zusammen mit Sophie im Hintergrund, als die Rettungssanitäter den alten Mann aus der Kathedrale brachten. Das Licht mehrerer Autoscheinwerfer glitzerte auf dem Schnee, und ein paar Leute standen herum – einer der Kirchendiener, einige Polizisten.
Und auf sie zu sprintete Michael Hunter. Der Bischof in seinem violetten Trainingsanzug.
«Merrily, was um Himmels willen machen Sie hier?»
«Ich habe Sie angerufen, Michael», erklärte Sophie augenblicklich. «Ich dachte …»
«Gut», sagte der Bischof. «Sehr gut. Das ist vollkommen angemessen.»
Obwohl er zweifellos von der Sirene des Krankenwagens aus dem Schlaf gerissen worden war, wirkte er weder müde, noch schien er zu frieren. Merrily glaubte fast, seine athletische Energie wie einen Heiligenschein aufschimmern zu sehen, als er eine Hand über die beiden Frauen hob, als wolle er sie segnen.
«Der arme Kanonikus Dobbs», sagte Sophie.
Der Bischof nickte. «Ein guter und hervorragender Diener Gottes.»
Wie? Merrily dachte an ihr Gespräch im
Green Dragon
. «
Dieser alte Kerl ist wirklich allgegenwärtig. Überall schleicht er herum wie ein finsterer, boshafter Geist. Am liebsten würde ich Dobbs …
exorzieren.»
Ein klassischer Fall von bischöflicher Heuchelei.
«Aber er hat immer zu schwer gearbeitet – und zu lange», sagte der Bischof. «Ein Schlaganfall, nehme ich an.»
«Ja», sagte Merrily, «danach sieht es aus.»
«Nein!» Die beherrschte, effiziente Sophie begann zu weinen. «
Zwei
Schlaganfälle. Es müssen zwei gewesen sein, verstehen Sie? Wir haben geglaubt … er sei betrunken, als wir ihn so schleppend und unklar reden hörten. Aber in Wahrheit kämpfte er mit den Folgen des ersten Schlaganfalls – vermutlich war er nicht so schwer. Und dann … Bei meinem Vater war es genauso … O Gott, wir waren ja so dumm, so gedankenlos.»
«Sophie», sagte Merrily, «wenn Sie nicht gewesen wären, dann könnte er jetzt noch dortdrin liegen.»
«Vielleicht waren wir schuld, weil wir gerufen haben, dass er herauskommen soll … Vielleicht hat ihn die ganze Aufregung verwirrt oder in Panik versetzt, und erst dadurch ist es zu dem zweiten Schlag gekommen.»
«Sophie, hören Sie.» Der Bischof legte seiner Sekretärin eineHand auf die Schulter, schob mit der anderen den Schal etwas zurück, den sie um ihren Kopf geschlungen hatte, und sah ihr direkt in die Augen. «Wir alle wissen, dass Thomas’ Rückzug aus dem Berufsleben längst überfällig war. Sein besonderes Amt hat ihn unter enormen Druck gesetzt. Einige von uns haben, wie Sie wissen, ihr Bestes versucht, um ihn vom Ruhestand zu überzeugen. Ich glaube, jeder hat bemerkt, dass die geistigen Fähigkeiten dieses guten Mannes rapide abnahmen. Oh, passen Sie auf …»
Er führte Sophie ein Stück weg, als der Krankenwagen losfuhr, um Dobbs ins General Hospital zu bringen. Dahinter tauchte George Curtiss auf, der schwer durch seinen mächtigen Bart atmete.
«Herr Bischof …»
«Gute Leistung, George.»
«Ich fürchte, ich habe nicht genug getan.»
«Ich bin sicher, dass Sie alles Menschenmögliche unternommen haben», sagte Mick Hunter und setzte nach einer kurzen Pause hinzu, «außer Ihren Bischof zu informieren.»
«Oh, ja. Ich, äh, dachte … hoffte … dass es nicht nötig sein würde, Sie einzuschalten – oder den Dekan.»
«Ich möchte über
alles
auf dem Laufenden gehalten werden, George. Das werden Sie doch bestimmt nicht noch einmal vergessen, oder?»
«Nein.»
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