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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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denen zwei Altäre standen – auch wenn Merrily von dort, wo sie stand, nur einen sehen konnte; einen einfachen Holztisch ohne Altartuch.
    An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Grabmal mit einer Steinplastik – sie zeigte einen Ritter in seiner Rüstung und seine Dame, versunken in ein letztes, langes Gebet.
    Merrily blieb regungslos stehen. Sie fühlte sich stark an die kleine keltische Steinkapelle erinnert, in der sie die Vision von dem Blau, dem Gold und dem hellen Pfad gehabt hatte. Nur der Geruch war ganz anders.
    Sie kannte den Geruch alter Kirchen, und der hatte normalerweise nichts mit Urin zu tun.
     
    Noch bevor Tim Purefoy mit seinen Schlüsseln zurück war, röhrte ein großes Auto durch den Schnee zur Scheune. Der mattgoldene Mitsubishi mit den riesigen Stoßfängern war von unten bis oben mit Schneematsch bespritzt und kam rutschend ein paar Handbreit vor dem verglasten Eingang zum Stehen.
    Denny Moon stieg aus, schlug heftig die Fahrertür zu und warf einen ärgerlichen Blick auf die Scheune, als sei er wütend, dass sienoch existierte, dass sie nicht längst abgebrannt und zu einem Haufen Schutt und Asche geworden war. Er trug eine alte Lederjacke und eine Baseballmütze. Dazu eine Panorama-Sonnenbrille, als hätte er Angst vor Schneeblindheit. Dann betrachtete er die Bäume und die hohe Leylandii-Hecke und holte zwischen zusammengebissenen Zähnen zischend Luft.
    «Verfluchter Scheißort!»
    Lol ging nervös auf ihn zu. «Mr.   Purefoy holt gerade seine Schlüssel.»
    «Scheiß drauf. Ich trete die Tür ein.» Denny starrte Lol finster an. «Lol, was ist los? Du hast doch irgendwas.»
    «Erst mal müssen wir da rein.»
    «Wenn du wüsstest, wie du aussiehst! Du hast doch einen Schock. Was ist?»
    Tim Purefoy tauchte wieder auf. Er hatte einen Schlüsselring dabei, an dem ein langer und zwei kleinere Schlüssel hingen.
    Im gleichen Moment kam seine Frau zurück, die hinter die Scheune gegangen war. Sie wirkte panisch. «Ruf   … ruf die Polizei», stammelte sie. «Besser, wir rufen die Polizei.»
    Denny keuchte auf und schnappte sich die Schlüssel.
     
    Durch das oberste Fenster fiel blendendes Sonnenlicht in den Raum, das offene Balkenwerk erinnerte an ein Gerippe.
    «Kathy!», rief Denny. «
Kathy!»
    Es roch nach Kerzenwachs. Auf dem Boden waren Wachsflecken.
    Denny sah nach oben. «Hat sie dort geschlafen?» Er ging zu der Treppe, die auf den umgebauten Heuboden führte. Er war nicht auf der Rückseite des Hauses gewesen, also wusste er nicht, dass sie ins Badezimmer gehen mussten. «Kathy!»
    Hinter der Treppe waren zwei Türen. Eine war angelehnt, und durch den Spalt sah Lol eine Küchenarbeitsplatte und die Ecke eines Backofens. Die andere Tür war geschlossen.
    Lol öffnete sie und ging in das quadratische weiße Badezimmer, in dem ein bitterer, metallischer Geruch hing. Er zog die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor, um sich mit ihr einzuschließen. Wie er es am Samstag hätte tun sollen – ohne die feindselige Dunkelheit zu beachten, die ihn von der Scheune fortzuschieben schien   –, als sie gesagt hatte:
«Ich möchte nicht, dass du reinkommst.»
     
    Mit dem Rücken zur Tür sah er als Erstes das Foto eines lächelnden Mannes vor einem Land Rover wie eine Ikone an der Wand über der Badewanne hängen.
    Auf dem Rand der Wanne lagen schwarze Tonscherben aufgereiht.
    «Hier oben ist sie nicht», hörte er Denny vom Heuboden herunterrufen. Er klang erleichtert, fast fröhlich, weil er sie nicht tot auf ihrem Futon entdeckt hatte.
    Lol sah den angetrockneten bräunlichen Rand auf dem Porzellan um den Überlauf. Es sah aus wie der verschmierte Mund eines Babys, das gerade Brei gegessen hat. Vermutlich war ein Hahn aufgedreht gewesen, und dann war das Wasser durch den Überlauf auf den verschneiten Rasen geleitet worden, bis der Vorrat in dem primitiven Wassertank aufgebraucht war.
    «Lol?» Er hörte Denny die Treppe herunterkommen. «Wo bist du?»
    Es sah vollkommen unwirklich aus. Als Erstes dachte Lol – weil sie so still dalag – an die Ophelia von diesem berühmten präraffaelitischen Gemälde.
    Die dünne Kieferntür bog sich in seinen Rücken, als Denny versuchte, sie zu öffnen. Dann trommelte er so heftig mit den Fäusten dagegen, dass sie gegen Lols Rücken vibrierte und er fast einen Schritt in Richtung der Badewanne gestolpert wäre. Da erst schrie Lol auf. Jetzt erst nahm er den Anblick so auf, wie er war:Hier gab es keine Anmut, keinen Frieden und

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