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Titel: Mobile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Richter
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gut, alt zu werden.«
    Joachim stand auf und nahm das Glas. Als kurz darauf das Leitungswasser lief, beugte die alte Frau sich leicht nach vorne. »Er vertraut Ihnen«, raunte sie Michael zu.
    »Notgedrungen«, sagte er. »Die Angst lässt ihm keine andere Wahl.«
    »Der Ärmste.«
    Michael warf ihr einen kalten Blick zu.
    Joachim kehrte zurück. Er reichte ihr das Glas. Sie nickte dankend und trank einen Schluck, reichte Joachim das Glas zurück. Er stellte es auf den Tisch.
    »Wo war ich stehen geblieben«, fragte sie.
    »Dass Ihr Mann sich verändert hatte«, sagte Joachim.
    »Ja, richtig. Der Laden lief gut, aber Werner wurde mit der Zeit immer verschlossener. Irgendetwas bedrückte ihn, doch er sprach nicht darüber. Dann, es war Ostersamstag und Werner hatte den Laden seit etwa einem dreiviertel Jahr, räumte er plötzlich die Regale leer. Er warf alles auf einen kleinen Anhänger, den er sich zuvor von einem Bekannten geliehen hatte, und in mehreren Fuhren brachte er alles raus aufs Land. Auf einem Feld hatte er begonnen, einen großen Holzhaufen zu errichten. Er warf die Sachen aus dem Geschäft dazu und legte noch einige Schichten Holz drüber, dann übergoss er alles mit Benzin und zündete den Haufen an. Aus der Entfernung wird es wie ein großes Osterfeuer ausgesehen haben, und das sollte es auch. Werner fuhr nach Hause und erzählte mir, was er getan hatte. Meine Fragen nach dem Grund beantwortete er nicht. Noch nicht. Er sah ungeheuerlich müde aus, aber auch sehr erleichtert. Am späten Ostersonntag fuhren wir gemeinsam raus aufs Feld. Die Flammen glimmten noch. Es stank fürchterlich. Nicht alles war vollständig verbrannt, aber die Hitze hatte alles weitestgehend zerstört. Werner blickte lange in die Glut und sagte immer wieder, es sei ein großer Fehler gewesen und er hoffe, dass jetzt alles vorbei und gut sein würde. Ich stellte ihm keine Fragen, denn ich wusste, er würde sie noch nicht beantworten. Ich musste warten, bis Werner zum Reden bereit war. Kurz darauf kam die Krankheit. Werner behauptete bis zum Schluss, er habe ihm die Krankheit geschickt, weil Werner sich nicht an die getroffene Vereinbarung gehalten, sondern sie gebrochen hatte.«
    »Er hat ihrem Mann ... den Krebs geschickt?«, fragte Joachim staunend.
    »Es ging schnell, zu schnell, als dass die Ärzte etwas unternehmen konnten. Nur am Ende, als es im Grunde schon fast vorbei war, ließ der Krebs sich viel Zeit und spielte mit Werners Qualen. Mein Mann bettelte um den Tod, aber der Tod kam und kam nicht. Es war schlimm. Am Ende holte ich den Tod zu Werner, damit es endlich vorbei und Werner erlöst war.«
    Joachims Unterkiefer fiel herunter. »Sie haben Ihren Mann getötet?«, fragte er atemlos.
    »Nicht getötet - erlöst. Eine Überdosis Morphium gab ihm Frieden. Es war der letzte und zugleich größte Beweis meiner tiefgehenden Liebe.«
    Joachim schluckte. Ihm fehlten die Worte.
    Sie sagte: »Sie werden ihn finden müssen, wenn Sie Ihren kleinen Sohn retten wollen. Nur dann ist das Leben des Kindes vielleicht noch zu retten. Aber selbst das ist nicht gewiss.«
    »Wir haben keinen Schimmer, wo wir die Suche beginnen sollen«, sa gte Michael.
    »Er schickte Werner ab und zu Päckchen mit Spielzeug. Die Päckchen kamen aus England, dort, wo er herkam.«
    »Woher aus England? Welche Stadt?«
    »Ich erinnere mich nicht.«
    »London? Manchester? Denken Sie nach! Southampton?«
    »Es war keine der bekannten Städte. Ich weiß es wirklich nicht mehr.«
    »Vielleicht lebt er gar nicht mehr«, sagte Joachim. Er hatte sich wieder gefangen.
    »Oh», sagte sie langgezogen. »Er lebt, da dürfen Sie sicher sein. Und vermutlich geht er weiterhin seinen unheilvollen Geschäften nach.«
    »Frau Reichel, er müsste jetzt so alt sein wie Ihr Mann, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er in diesem hohen Alter noch arbeitet.«
    »Sie können es sich beim besten Willen nicht vorstellen?« Sie machte eine unwirsche Handbewegung. »Junger Mann, ich sage Ihnen: Er ist nicht der, der er zu sein scheint. Ich habe diese Erfahrung gemacht, mein Werner auch und niemand weiß, wie viele andere Menschen noch. Setzten Sie alles dran, ihn zu finden, dann können Sie möglicherweise Ihren kleinen Jungen retten. Ansonsten dürften Sie schon bald um ihn trauern.«
    Joachim fühlte sich, als stünde jemand vor ihm und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige nach der anderen, links-rechts-links-rechts. Wie aus weiter Ferne hörte er Michael

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