Mode ist ein glitzernder Goldfisch
denn so wie es aussieht, hat das Universum beschlossen, Rache an mir zu üben und mir â ganz reale und keineswegs metaphorische â Teufelshörner aufzusetzen. Als die Stewardess auf die Ausgänge zeigt, ist meine Stirn heià und pocht, als sie die Erdnüsse verteilt, tut mir die Stirn so weh, dass ich sie nicht mal runzeln kann, und als wir über Moskau in den Sinkflug gehen, hat mein Vater meinen funkelnagelneuen riesigen Pickel »Bob« getauft und unterhält sich mit ihm wie mit einem richtigen Wesen.
»Möchte Bob ein Glas Orangensaft?«, fragt er jedes Mal, wenn die Stewardess vorbeigeht. »Oder einen Kräcker?«
Und dann lacht er, und es erfordert alle Geduld, die ich irgendwie aufbringe, mich nicht mit der Bitte an den Piloten zu wenden, ob wir nicht umdrehen und meinen Vater in England absetzen können, weil er sich nicht benimmt.
All das kann meine Aufregung allerdings nicht ganz dämpfen.
Ich fliege nach Russland.
Russland. Land der Revolutionen und der einbalsamierten Revolutionsführer mit Glühbirnen im Hinterkopf. Land des Kreml und des Winterpalastes und des ehemaligen Bernsteinzimmers, das ganz vergoldet war und irgendwann im Zweiten Weltkrieg »verloren« ging. Land der groÃen Pelzmützen und kleinen Puppen, die ineinandergesteckt werden.
Und wenn ich modeln muss, solange ich dort bin: Mir sollâs recht sein.
»Da wären wir«, sagt mein Vater, als das Flugzeug landet, stupst mich mit dem Ellbogen und grinst. »WeiÃt du, wie viele Teenager dafür liebend gern einen Mord begehen würden, Schatz?«
Ich schaue aus dem Fenster. Ein flauschiges, weiÃes Schneegestöber hat sich wie Puderzucker über alles gelegt, wie auf einer Postkarte. Russland sieht genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Und das könnt ihr mir glauben: Ich habe es mir oft vorgestellt. Es ist auf meiner Top-Ten-Liste der Länder, die ich besuchen will. An dritter Stelle, um genau zu sein.
Ich schlucke schwer. Schon fangen die Dinge an, sich zu verändern. Von heute an wird alles anders.
»Du lebst deinen Traum.« Dad lächelt mir zu und sieht wieder aus dem Fenster.
»Ja.« Ich erwidere sein Lächeln. »Sieht ganz so aus.«
37
A lso, das Tolle am Moskauer Flughafen ist, dass er durch und durch russisch ist.
Ich meine, die Schilder sind auf Russisch. Die Bücher sind auf Russisch. Die Broschüren sind auf Russisch. Die Läden sind russisch. Alles, was in den Läden verkauft wird, ist russisch. Alle Menschen sind Russen.
Okay, vielleicht sind nicht alle Menschen Russen â die meisten steigen aus Flugzeugen aus GroÃbritannien und Amerika, und wenn ich ganz ehrlich bin, ist alles auch auf Englisch â aber trotzdem sieht alles ⦠anders aus. Exotisch. Historisch. Revolutionär.
Selbst mein Vater wirkt eleganter, dabei trägt er immer noch das scheuÃliche T-Shirt mit dem Roboter vorne drauf.
Auf Wilbur scheint nichts von alldem auch nur den geringsten Eindruck gemacht zu haben. Er ist in Gedanken mit anderen, weniger tiefsinnigen Dingen beschäftigt.
»Oh, meine Billy Ray Cyrus«, meint er seufzend, als wir ihn endlich gefunden haben. Er sitzt in einem Seidenhemd, das mit kleinen Ponys bedruckt ist, auf einem pinkfarbenen Koffer, und in der Sekunde, da ich vor ihm stehe, legt er sich die Hände auf die Augen, als könnte ich sie ihm mit dem Pickel auf meiner Stirn ausstechen. »Wo kommt denn der her? Was hast du gegessen?«
»Schoko-Müsliriegel«, wirft mein Vater hilfsbereit ein. »Sie hatte drei zum Frühstück.«
»Du siehst aus wie ein Baby-Einhorn, Glitzerzehchen. Hättest du nicht noch vierundzwanzig Stunden abwarten können? Nur vierundzwanzig Stunden, bevor du dir Hörner wachsen lässt?«
Gedemütigt runzle ich die Stirn, zucke zusammen und versuche, den Pickel wieder reinzudrücken. »Es ist nur einer«, murmle ich beschämt. »Ein Pickel, Singular.«
Wilbur seufzt. »Also, hör auf, mit den Fingern den Berg erklimmen zu wollen, Krümelchen«, meint er seufzend und schlägt sanft meine Hand weg. »Es sei denn, du willst für die Nachwelt eine Flagge darauf hissen.«
Mein Vater lacht dermaÃen, dass ich ihn in den Arm knuffen muss. Erwachsene sollten wirklich mal lernen, sensibler mit den Hautproblemen ihrer Teenager umzugehen. So eine Bemerkung kann niederschmetternd sein für ihre psychische
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