Mode ist ein glitzernder Goldfisch

täuscht, kennst du ihn schon. Ihr habt über Tauben gesprochen … oder waren es Enten? Jedenfalls irgendwelche Vögel.«
    Mein Magen macht einen Sinkflug. Und dann rutschen mein Herz, meine Lunge, meine Nieren und meine Leber hinterher, bis sie in einem Haufen vor meinen Füßen liegen.
    Das kann nicht sein. Unmöglich.
    Ganz ausgeschlossen.
    Â»Na endlich«, sagt Wilbur, dreht sich um und winkt. Wie es aussieht, kann es sehr wohl sein.
    Denn dort – im Schnee an einen Laternenpfahl gelehnt, in einer großen Armeejacke, in der er verboten gut aussieht – steht Nick.
    Mal wieder.

38
    W ie groß war die Chance?
    Ich sage euch, wie groß die Chance war. Ungefähr 673 zu 1. Und das nur, wenn Yuka Ito ausschließlich männliche Models besetzte, die in London leben. Wenn man den Rest des Erdballs mit einbezieht – der ebenfalls voller schöner Menschen ist –, dann geht die Statistik noch mehr in Richtung »absolut unwahrscheinlich«.Tausende zu eins. Viele, viele Abertausende zu einer winzig kleinen, mickrigen Eins.
    Und wie habe ich das so schnell ausgerechnet? Das ist unwichtig.
    Aber wenn ich, sagen wir mal, zufällig auf die Webseiten sämtlicher wichtiger Modelagenturen gestoßen wäre, während ich mich am Wochenende gelangweilt hätte, und zufällig alle männlichen Models gezählt und zufällig ausgerechnet hätte, wie die Chancen stünden, Nick bald wiederzusehen, dann wäre das meine Prognose gewesen.
    Wenn ich das getan hätte.
    Doch das ist, wie gesagt, unwichtig.
    673 zu 1. Und doch: Hier ist er und steigt zu mir ins Taxi. Und zu meinem Vater. Was verrückt ist, denn wenn mein Planet und Nicks Planet nicht dazu bestimmt sind zu kollidieren, dann liegen sein Planet und der meines Vaters auf verschiedenen Orbits, in verschiedenen Sonnensystemen, in ganz verschiedenen Universen.
    Mein Vater wirft einen Blick auf Nick, der hinten neben mir sitzt, Schnee in den Haaren, und hüstelt. »Ich glaube, so langsam verstehe ich, warum du so scharf darauf warst, Model zu werden, Harriet«, sagt er im plumpesten Tonfall, den ich je gehört habe.
    Ich trete ihm an den Knöchel.
    Â»Was denn!?« Mein Vater tut vollkommen unschuldig und gekränkt. »Ich sage ja nur, aus der Perspektive einer Fünfzehnjährigen ergibt das alles plötzlich sehr viel mehr Sinn.« Er grinst mich an.
    Peinlicher könnte es gar nicht sein. Unmöglich. Wenn ich während der Fahrt die Taxitür aufmache und meinen Vater rausschubse, werde ich dann des Mordes angeklagt?
    Vielleicht wäre es die Sache sogar wert.
    Â»Dad«, winsle ich und blicke so angestrengt wie möglich aus dem Fenster. Moskau zieht vorüber – eine einzige Kulisse aus Schnee und hohen Gebäuden –, aber ich kann mich kaum darauf konzentrieren. Nicht nur, dass Nick hier ist, wo er doch gar nicht hier sein sollte, er sieht auch noch viel besser aus als beim letzten Mal. Er sieht mit jedem Tag besser aus, als würde er so was wie ein magisches Schönheitselixier zu sich nehmen, das aus der Zunge eines Einhorns und dem Haar eines Drachen gemacht ist oder so.
    Vielleicht sollte ich ihn fragen, ob er noch was übrig hat.
    Â»Ihr habt euch auf der Clothes Show unter dem Tisch getroffen, erinnert ihr euch?«, fragt Wilbur ganz unschuldig und wedelt mit der Hand zwischen uns hin und her.
    Das überlegene Grinsen meines Vaters ist inzwischen wie eingemeißelt. »Tatsächlich?«
    Nick schenkt mir ein angedeutetes Lächeln und legt die Füße auf die Rücklehne des Vordersitzes. »Harriet Manners«, sagt er in seinem langsamen, lässigen Tonfall. »Immer auf der Seite von Recht und Gesetz.«
    Â»Das hat sie von ihrer Stiefmutter«, erklärt mein Vater, und ich kalkuliere in Gedanken, wie groß die Verletzungen wohl sind, wenn ich warte, bis wir an einer roten Ampel halten, und dann ganz beiläufig die Tür auf seiner Seite aufstoße.
    Â»Ich wusste nicht, dass du auch hier bist«, sage ich so lässig wie möglich, auch wenn es kein bisschen lässig rauskommt.
    Nick zuckt die Achseln. »Ich habe den Baylee-Auftrag schon vor einer Weile bekommen«, sagt er, als hätte er soeben einen Aushilfsjob im Supermarkt ergattert. »Es hat nur gedauert, bis sie das richtige Mädchen gefunden haben.«
    Oh, mein Gott. Und das soll ich sein? Ich war noch nie für irgendetwas das richtige Mädchen.