Mode ist ein glitzernder Goldfisch
Hiawatha« â und wir beide taten so, als fänden wir das ganz toll.
Aber sosehr ich mich auch anstrengte, so kunstvoll Nat unsere »Designer-Garderobe« aus Plastiktüten zusammenstückelte und die Gänseblümchen-Kränze auf unseren Köpfen arrangierte: Irgendetwas ging immer schief. Irgendetwas riss. Oder ich stolperte. Einmal musste ich sogar zum Notarzt â sieben Stiche.
Nat entschied dann, dass es wahrscheinlich weniger gefährlich wäre, wenn ich mich um die Getränke kümmerte und Regie führte â sicher untergebracht in einem Liegestuhl auf dem Rasen.
Während sie weiter modelte.
Nat.
Wenn ich an sie denke, will sich ein Kästchen in meinem Hirn öffnen, in dem ich alle Gedanken an sie und das ganze schlechte Gewissen verstaut habe, und sein Inhalt will rausfliegen, deshalb nagle ich das Kästchen jetzt fest zu.
»Modenschauen sind fantastisch«, versichert Wilbur mir und schiebt mich schon in das nächste Taxi. »Wir müssen offensichtlich noch an deiner Gehtechnik arbeiten, Kicherböhnchen, denn ich glaube nicht, dass der Rollstuhl auf den Laufsteg passt. Aber das macht nichts. Wir haben mindestens zwanzig Minuten, um dir beizubringen, wie man auf Absätzen läuft.«
Mir ist ein bisschen nach Kotzen zumute.
Doch ich hole das Blasendiagramm mit den Lügen aus der Tasche und schalte mein Handy ein. »Dad«, sage ich zu ihm, »es ist Zeit. Du musst Annabel was schicken, damit sie glaubt, dass du in einer tödlich langweiligen Besprechung steckst, die kein Ende findet.«
»Und was?«, fragt mein Vater.
»Ich weià nicht, Dad«, fahre ich ihn an. Allmählich liegen meine Nerven blank. »Ich kann nicht alles machen. Schick ihr einfach, was du ihr sonst schickst, wenn du dich bei Besprechungen langweilst.«
Mein Vater runzelt die Stirn. »Erstens schreibe ich während einer Besprechung keine SMS unter dem Tisch. Ich bin ja nicht in der Schule. Zweitens sind Annabel und ich seit acht Jahren verheiratet. Wir halten uns nicht täglich per SMS über unseren Gefühlszustand auf dem Laufenden. Und drittens bin ich ein Mann. Ich schreibe nie jemandem etwas über meine Gefühle oder so. Ãber gar nichts.«
»Um Himmels willen, Dad«, schimpfe ich. »Nerv mich nicht. Schick ihr einfach eine SMS. Halt dich an das Blasendiagramm, ja? Ich habe heute keine Zeit für deine nonkonformistischen Einwände.«
Mein Vater sieht mich an, zuckt die Achseln und holt sein Handy raus. »Gut. Aber gib hinterher nicht mir die Schuld, wenn ihr das verdächtig vorkommt. Das hier ist dein Abenteuer, ich hab nur die Nebenrolle.«
»Du hast keineswegs nur die Nebenrolle, Dad.«
»O doch. Ich bin wie Robin. Oder Dr. Watson.«
Ich ziehe ein mürrisches Gesicht. »Versuchâs mal mit Chewbacca«, murmle ich. Mein Handy, das ich wieder in die Tasche gesteckt habe, spielt verrückt, und ich tue so, als würde ich es nicht hören, denn ich weià nicht, ob ich schon bereit bin, mich der Rakete aus Schuldgefühlen und Scham zu stellen, die da auf mich zuzischt.
»Ist das teenagerspezifisch?«, fragt Wilbur schlieÃlich aufgeregt, als es wieder anfängt zu klingeln. »Es ist ein paar Jährchen her, seit ich ein Teenager war, also bin ich vielleicht nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Hast du einen besonderen Klingelton, den du nicht hören kannst oder so?«
Mein Vater hustet. »Ein paar?«, meint er und schaut aus dem Fenster. »Ein paar Jährchen?«
Wilbur reckt die Nase in die Luft. »Ich hab einfach sehr markante Gesichtszüge«, sagt er hochmütig. »Wie Wolverine. Sie waren immer schon sehr markant.«
Mein Vater und ich betrachten ihn ein paar Sekunden. Wenn Wilbur unter vierzig ist, esse ich diesen goldenen Lichtreflektor.
»Nein«, meine ich schlieÃlich seufzend und hole mein Handy raus. »Ich kann es sehr wohl hören. Leider.« Und dann klicke ich â sehr zögerlich â auf den Posteingang.
H, WIE GEHTâS DIR? WÃNSCHTE, DU WÃRST HIER. SOLL ICH NACH DER SCHULE SUPPE VORBEIBRINGEN? KÃNNTE WAS VON DER GRÃNEN THAI-HÃHNCHENSUPPE BESORGEN, WENN DU WILLST. NAT X
H, KEINE GRÃNE SUPPE DA. IST ROTE AUCH OKAY? NAT X
LIEBE HARRIET, HIER IST TOBY PILGRIM. IN DER SCHULE GEHT DIE POST AB, D. H., ALEXA QUÃLT NAT. SOLL ICH NACH AMSTERDAM KOMMEN UND DICH NACH HAUSE HOLEN, DAMIT DU SIE RÃCHEN KANNST
Weitere Kostenlose Bücher