Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
Außerdem mache ich es längst ganz anders.«
Sie zeigt im Atelier herum, das voller neuer Versionen des Kleids ist, in Papier, in Baumwolle, in zarten, glänzenden rosaStoffen. Sie hat sich von den Kleidern auf Grannys Dachboden viel abgeschaut, und nun sind alle Korsagen mit Stäbchen ausgestattet, wattiert und tailliert. Die Röcke haben immer noch denselben cleveren Blütenblatteffekt, doch jetzt gibt es sogar eine versteckte Handytasche, die ebenfalls von Stäbchen gehalten wird. Natürlich hat sie das nicht von Dior, aber von ihm hat sie gelernt, wie man täuscht und kaschiert.
Sie lässt mich ein Kleid anprobieren, um mir ihre jüngste Erfindung zu zeigen. Es soll so aussehen, als wäre der Ärmel versehentlich von der Schulter gerutscht, doch an der Innenseite hat Krähe ein paar raffinierte Nähte und Bänder angebracht, um den Ärmel in der perfekten Position zu halten. In dem Kleid habe ich außerdem einen Busen, Hüften und Beine wie ein Model.
»Donnerwetter!«
»Du kannst es haben, wenn du willst«, sagt sie, doch sie kneift dabei ein bisschen die Augen zusammen, woran ich erkenne, dass sie es eigentlich einer Kundin versprochen hat.
»Lieber nicht«, sage ich und ziehe es schweren Herzens wieder aus. Es ist nicht nur, dass es jemand anders zusteht. Außerdem sehe ich darin etwas zu sehr nach Model/Prinzessin/Ballerina aus, ein Typ, der mir eigentlich nicht so liegt. Ich bin ein flachgesichtiger Zwerg, und das sollte ich akzeptieren und meinen Look feiern.
Damit bin ich natürlich kein typischer Fall. Es gibt jede Menge Mädchen da draußen, für die der Model/Prinzessin/Ballerina-Look genau das Richtige ist. Rebecca hat eine ständige Warteliste für die neuen Kleider, und wenn Krähe Zeit für eine ihrer arktischen Spinnwebkreationen findet, macht sie sie in Sekunden. Mehrere Modeschüler aus Saint Martins brauchen regelmäßig neue Sachen, und sie bezahlen Krähe mit Stoffen oder Accessoires aus ihren eigenen Kollektionen. Inzwischen bekommt sie Briefe von Mädchen, die sie anbetteln, ihnen etwas zu nähen. Alle im Teenageralter, alle mit langen Beinen, alle reich genug, horrende Preise zu zahlen.
Die Briefe sind gute Leseübungen. Edie gibt ihr immer noch jede Woche Nachhilfe, und inzwischen sind sie von dem Dior-Buch zu Artikeln aus der Vogue und Rezensionen von Modenschauen übergegangen. Roald Dahl und Enid Blyton scheint Krähe in ihrer Entwicklung übersprungen zu haben.
Ich frage Edie, wie sich Krähe in der Schule macht, und sie sagt, anscheinend läuft es besser. Bei den Hausaufgaben ist sie immer noch eine Katastrophe, aber wenigstens versteht sie jetzt, was im Unterricht besprochen wird. Die Unheilsschwestern gibt es noch, aber Krähe scheint sie völlig auszublenden. In Gedanken ist sie immer bei Stoffen und Nähten und Entwürfen, die sie irgendwo gesehen hat.
Neuerdings fragt Mum Krähe, ob sie sie begleitet, wenn es eine neue Ausstellung gibt.
»Das macht dir doch nichts aus, oder, Schätzchen?«, sagt sie zu mir. »Dir macht es mehr Spaß, mit deinen Freundinnen SMS zu schreiben, aber Krähe braucht die visuelle Stimulation.«
Natürlich macht es mir was aus. SOOO viel SMS schreibe ich gar nicht. Meistens chatten wir. Und ich sehe mir gern Kunst an. Vor allem weil ich dabei ausnahmsweise die Gelegenheit habe, mit Mum zu reden. Wenn Krähe was braucht, scheint sie alle Zeit der Welt zu haben. Ich verarbeite meine Eifersucht, indem ich Mum im Kopf um die Ohren haue, wie viel Aufmerksamkeitdie ZWÖLFJÄHRIGE von ihr kriegt. Ich fluche und sage lauter schlimme unverzeihliche Dinge, und danach geht es mir schon viel besser. Laut sage ich nur: »Natürlich, ihr beiden, macht nur, schön, wenn ihr euch amüsiert.« Comme il faut.
Jenny findet, dass Mum total egoistisch und unvernünftig ist. Edie erinnert mich daran, wie viel Krähe arbeitet und dass sie eine paar Belohnungen verdient hat. Womit sie mir durch die Blume sagt, dass ich total egoistisch und unvernünftig bin. Krähe sagt nichts und näht einfach weiter.
Dann komme ich eines Morgens zum Frühstück, und an unserem Küchentisch sitzt ein SUPERMODEL und unterhält sich mit Mum.
»Hallo, Nonie«, sagt Mum beiläufig. »Das ist Svetlana. Sie ist hier, um ihr Kleid abzuholen.«
Svetlana sieht auf und lächelt mich an. Sie ist umwerfend. Mit ihren Wangenknochen könnte man Brot schneiden. Das honigblonde Haar fällt ihr geschmeidig über die Schultern, und ihre goldenen Augen funkeln und glitzern heller als
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