Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
Aufmerksamkeit sie jüngst für die unsichtbaren Kinder gewonnen hat, rasch gefolgt von den Zahlen der Flüchtlinge in zehn afrikanischen Ländern. Als sie fertig ist, eine Reihe von extrem langen Datenreihen herunterzuleiern, habe ich meine ursprüngliche Frage vergessen.
»Aber ich muss noch mehr tun«, sagt sie und seufzt theatralisch. »Ich meine, wenn wir für eine Petition, sagen wir, eine Million Unterschriften zusammenbekämen, dann muss der Premierminister das Problem ernst nehmen. Er könnte es auf dem nächsten G8-Gipfel ansprechen. Und die müssten etwas tun.«
»Was genau tun?«
»Den Leuten mehr Geld geben, die versuchen, Familien wieder zusammenzuführen. Aufhören, Regierungen zu unterstützen, die die Konflikte schüren, so dass die Flüchtlinge nicht nach Hause können. Mehr Schulen bauen. Stell dir vor: Du verbringst all die Jahre im Lager, mit kaum etwas zu essen, keinem Unterricht, und um dich herum sterben die Leute wie die Fliegen. Es gibt Tausende von Menschen, die so leben, und so gut wie keiner hilft ihnen. Nur weil nicht mehr auf sie geschossen wird, heißt das noch lange nicht, dass es ihnen gut geht.«
Ich versuche sie zuversichtlich anzusehen.
»Ach, komm schon«, beschwert sich Edie, »so unmöglich ist es auch nicht.«
Anscheinend muss ich an meinem zuversichtlichen Blick noch feilen.
»Du findest es doch auch wichtig, Nonie, oder?«, fragt sie, und zum ersten Mal sieht sie verunsichert aus.
»Natürlich finde ich es wichtig«, erkläre ich. »Aber ich kenne diese Kinder gar nicht. Sie sind so weit weg.«
Edie sieht mich böse an.
»Aha. Jenny muss nur ein Paar silberne Schuhe anziehen, und schon kennt sie das halbe Land.«
Da sind wir wieder beim Thema. Ich erfinde eine Ausrede, dass ich noch einen Aufsatz über Emily Brontë schreiben muss, und mache mich schnellstmöglich auf den Heimweg. Edie redet immer davon, die Welt zu retten, aber wenn sie so weitermacht, schafft sie es nicht mal, eine Freundschaft zu retten.
Es dreht sich nicht alles nur um Promis und darum, die Welt zu retten. Inzwischen sind die Sommerferien eine dunkle Erinnerung, und wir haben ganz normale Schulsorgen, mit denen wir uns herumplagen müssen. Unsere Lehrer werden nicht müde zu betonen, dass wir nur noch weniger als zwei Jahre bis zu einer der GRÖSSTEN PRÜFUNGEN UNSERES LEBENS hätten und daher angemessen und zunehmend gestresst sein müssten. Bei Jenny und mir haben sie Erfolg.
Edie dagegen gleitet mühelos dahin. Englisch, zum Beispiel. Inzwischen hat sie die Lektüreliste für das ganze Jahr durch und hat von jedem Autor noch drei Bücher extra gelesen, um sich »mit dem Stil vertraut zu machen«. Ich vermute, das heißt, dass sie sie nach Belieben kopieren könnte, was stimmt. Ihre einzige Klage ist, dass Emily Brontë nicht genug geschrieben hat, um ihr eine gründliche Vorbereitung zu ermöglichen. Emily Brontë hat nämlich nur einen einzigen Roman geschrieben, was Edie einbisschen schwach und faul findet. Sie meint, sie hätte sich weniger im Moor herumtreiben sollen, wo man sich eh nur erkältet, und dafür öfter zur Feder greifen.
Ach, und dann ist da noch das Shoppen. Edie shoppt natürlich nicht, soweit ich es mitbekomme. Und Jenny bekommt ihre GRATISGESCHENKE. Aber ich, ich gehe shoppen.
Und als ich eines Tages nach der Schule über die Kensington High Street schlendere, entdecke ich plötzlich ein weißes Kleid im Schaufenster, von dem ich schwören könnte, dass es Jennys ist. Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass es eine gute Kopie ist. Die Strassstickerei und der schlaue Schnitt des bauschigen Rocks. Es ist natürlich nicht so gut gemacht wie Krähes Kleid, und das Material ist auch nicht so hochwertig, aber es ist immer noch ein tolles Kleid für eine Party.
Dann sehe ich noch eine Kopie in einem anderen Schaufenster, und dann noch eine. Rockstars tragen es zwei Nummern zu groß über weißen Baumwollunterröcken, die unter dem Saum hervorblitzen. Sienna Miller wird bei Dreharbeiten in einer schwarzen Version geknipst. Kate Moss hat etwas gefährlich Ähnliches unter einer Lederjacke an, als sie ins Pub geht. Ich kaufe selbst ein Exemplar und nehme es mit nach Hause, um es Krähe zu zeigen. Die nimmt es sofort auseinander, fasziniert von der Machart.
»Stört es dich nicht?«, frage ich. Immerhin hat sie niemand um Erlaubnis gebeten, ihre Entwürfe zu borgen.
»Warum denn?« Sie sieht mich verwirrt an. »Ich habe es gemacht, damit Mädchen es anziehen.
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