Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer

auf einer Weihnachtskarte vom vorletzten Jahrhundert. Nur dass ich neongelbe Stulpen und meine alte rosa Eisbärteddyjacke trage, die nicht ganz zu der Epoche passen.
    Jenny und ich sind wahrscheinlich die Einzigen an unserer Schule, die die Ferien am liebsten vorspulen würden, damit wir mit den spannenderen Dingen weitermachen können. Dann ist endlich Januar und ich kann anfangen die Tage auf Mums Küchenkalender zu zählen. Harry hat gedroht ein großes rotes Herz um den Dreiundzwanzigsten zu malen, aber wenn er das macht, bringe ich ihn um und das weiß er auch.
    Trotz all dem Trubel hat Krähe angeboten mir ein Kleid für das große Date zu machen. Und Harry hat mir versprochen, dass er seinen Posten am Plattenspieler nicht verlässt und nicht mal in unsere Richtung sieht, also wird es diesmal hoffentlich besser laufen. Krähe und ich brauchen Ewigkeiten, um den richtigen Stoff auszusuchen, und einigen uns am Schluss auf silberne Spitze von unserer Lieblingsstoffdesignerin Skye, die ständig neue Materialien erfindet oder verrückte Sachen mit alten macht. Ich werde wunderschön und atemberaubend aussehen. Noch mehr als je zuvor. Alexander soll vergessen, dass ich einen Bruder habe.
    Als ich gerade bei der Anprobe bin, ruft Edie an. Krähe ist es gewohnt, Kundinnen Kleider anzupassen, die mit dem Ohr am Handy kleben, also seufzt sie nur leise und lässt mich telefonieren.
    »Sie haben sie geschickt«, sagt Edie.
    Jetzt seufze ich .
    »Wer hat was geschickt, Edie?«
    Dann seufzt sie , ungeduldig.
    »No Kidding. Sie haben die Fotos geschickt.«
    »Was? Jetzt? Das hat aber lange gedauert.«
    »Ich weiß. In den Ferien habe ich schon geglaubt, sie hätten es vergessen oder dass sie sich das mit der Kinderarbeit doch nur ausgedacht haben. Deswegen ging es mir so gut. Dabei waren sie in Wirklichkeit einfach nur lahm. Heute Nachmittag habe ich die Fotos bekommen.«
    »Und?«
    Eine lange Pause an Edies Ende der Leitung.
    »Sind sie schlimm?«
    Schniefen an Edies Ende der Leitung.
    »Ja«, ganz leise. »Ja, sie sind schlimm.«
    Oh.
    »Sind sie echt?«
    »ICH WEISS ES NICHT.«
    Ich halte das Telefon weg von meinem Ohr. Edie kann sehr laut werden, wenn sie unglücklich ist.
    »Wie sehen sie aus?«
    »Sie sehen aus wie KINDER! Kleine, ausgelaugte Kinder. In einem Raum ohne Fenster, ohne richtiges Licht. Sie sitzen auf dem Boden mit einer Art Trommel vor sich, auf der Stoff gespannt ist. Sie sticken Glitzersteine auf T-Shirts, die ich aus Krähes Kollektion wiedererkenne. T-Shirts, die ich GETRAGEN HABE.«
    Ich seufze wieder. Jetzt seufzt auch Krähe. Ohne ein Wort zu sagen, hilft sie mir aus dem silbernen Spitzenkleid.
    »Ich komme vorbei«, sage ich.
    »Danke, Nonie.« Noch ein Schniefen. Edie legt auf.
    »Das wird schon«, verspreche ich Krähe.
    »Ich weiß«, sagt sie einfach und sieht mich mit ihren braunen Augen absolut vertrauensvoll an, als wäre ich Super-Nonie oder so was, und das macht es noch schlimmer. Sie erwartet, dass ich ihr Bescheid sage, wenn wir alles in Ordnung gebracht haben.
    Bei Edie sehen wir uns die Fotos auf dem Computer an. Manche der Kinder sind noch ganz klein. Andere sind vielleicht in unserem Alter. Unmöglich zu sagen. Sie tragen nur ein paar Fetzen am Körper, weil es offensichtlich heiß in dem Raum ist. Sie sitzen im Kreis um einen riesigen Haufen Glitzersteine und konzentrieren sich auf das, was sie sticken. Es wirkt wie eine Szene aus dem Oliver Twist- Film, nur ohne die Musik und die Kostüme und das Happy End.
    Sollten diese Bilder Fälschungen sein, sind sie brillant. Aber warum sollte jemand solche Bilder fälschen? Niemand hasst Krähe, soweit ich weiß. Oder Edie. Oder Andy Elat. Ich kann mir nicht vorstellen, warum uns jemand vorsätzlich wehtun wollte, indem er solche Sachen erfindet.
    Andererseits sind die Berichte von Andys Kontrolleuren auch ziemlich glaubhaft. Drei bis vier Mal pro Jahr schickt er Leute los, die sich in den Fabriken umsehen, und die geben sich nicht mit einem Blitzbesuch zufrieden. Sie verbringen mehrere Tage vor Ort und sprechen mit allen Mitarbeitern, und alle scheinen halbwegs glücklich und gut bezahlt zu sein. Und erwachsen.
    Jemand lügt da, aber wer? Und in der Zwischenzeit ist über Weihnachten die Nachricht durchgesickert, dass Krähe gebeten wurde eine zweite Kollektion für Miss Teen zu entwerfen. Obwohl Edie es nicht selbst gepostet hat, weil es noch nicht offiziell war, ist ihre Website voll mit Kommentaren aus der ganzen Welt, die fragen, ob