Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
ist, und für Krähes auch, glaube ich. Jemand bringt ein Tablett mit heißer Schokolade und einen großen Teller mit Keksen. Amanda kommt herein, in einem Pulloverkleid von Miss Teen und einer alten Stola um die Schultern, und lächelt uns an.
Amanda ist wie eine Lieblingstante. Sie fährt ihren kleinen Mini wie ein Henker, bettelt die besten Modeschöpfer um Klamotten an und weiß genau, wo es in London die besten Hamburger gibt. Sie arbeitet zu viel, um dafür zu sorgen, dass Miss Teen bei den neuesten Modetrends immer die Nase vorne hat. Deswegen ist sie blass und dünn, trotz ihres beeindruckenden Appetits auf Hamburger und Kekse, und manchmal würde man sie am liebsten in eine Decke wickeln und ihr sagen, dass sie sich ausruhen soll. Aber dann erzählt sie, was Miuccia Prada letzten Sommer auf Valentinos Yacht zu Tom Ford gesagt hat, und dir wird klar, dass sie ein schönes Leben führt.
Heute ist sie ganz aus dem Häuschen, weil die ersten Lieferungen von Krähes Edelsteinkollektion so schnell ausverkauft waren und das Presseecho so groß ist und alle so zufrieden sind. Es fühlt sich an wie ein warmes Bad der Modenettigkeiten. Dann legt Krähe ihre umwerfenden Skizzen auf den Tisch und alle drängeln, um etwas zu sehen.
Eine Zeit lang sagt keiner ein Wort. Und ich spüre, wie die Temperatur sinkt.
»Interessant«, murmelt Amanda irgendwann.
Amanda sagt nie »interessant«. Sie sagt »entzückend« und »traumhaft« und »fantastisch« und »wunderschön«. Nie einfach nur »interessant«.
»Mir gefällt der Spitzenbesatz«, sagt Kazuko, das Mädchen vom Design-Team.
Der Spitzenbesatz ist ein ziemlich kleines Detail eines ziemlich großen Outfits.
Eine andere Frau holt Luft, um etwas zu sagen, doch dann überlegt sie es sich anders.
»Also«, sagt Amanda nach einer sehr, sehr langen Pause. »Ich glaube, wir haben hier ein Problem.«
Mein Bauch zieht sich zu einem Flummi zusammen und ich habe ein Klingeln in den Ohren. Es ist wie in einer Doppelstunde Mathe, wenn du die Hausaufgaben nicht gemacht hast, und der Lehrer stellt dir eine Frage und alle sehen dich an.
»Wirklich?«, frage ich. »Was denn?«
Amanda seufzt.
»Erstens, die Entwürfe sind ziemlich erwachsen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie bei normalen Teenagern funktionieren.«
Ich werfe Krähe einen Blick zu. Sie sieht etwas schockiert und verletzt aus, aber sie sagt nichts. Ich suche unter dem Tisch nach ihrer Hand und drücke sie. Sie drückt meine Hand zurück. So was ist noch nie vorgekommen. Wir wissen nicht genau, was wir machen sollen.
»Wir brauchen Sachen … die spritziger sind«, fährt Amanda fort. »Und ich will euch keine Angst machen, aber wir müssen langsam einen Zahn zulegen. Sonst wird es eng mit den Lieferzeiten.«
Ich nicke weise. Wir Businessmanager wissen alles über Lieferzeiten. Und enge Fristen. Apropos eng, der Neopren-Minirock, für den ich mich heute entschieden habe, stellt sich im Nachhinein als völliges Unding heraus.
Man könnte meinen, der Prozess läuft so ab: Kleid entwerfen, Kleid nähen, Kleid verkaufen. Was nicht unbedingt viel Zeit kosten müsste. Doch wenn es um eine neue Kollektion für eine große Ladenkette geht, wird es komplizierter. Krähes Aufgabe bleibt: Kleid entwerfen. Dann aber müssen die Leute von Miss Teen Schnittmuster daraus machen, Stoffe aussuchen, Probekleider nähen lassen, Passformen für verschiedene Größen ausprobieren, wieder Probekleider nähen lassen, Kleid zur Massenfertigung geben, Werbung machen, das Kleid auf die Website stellen und jede Menge anderes Zeug, was erklärt, warum es in der Zentrale aussieht, als würden sie eine Fluggesellschaft leiten oder einen kleinen Staat, nicht ein paar Läden, in denen niedliche Sachen für Teenager verkauft werden. Deswegen brauchen sie »Lieferfristen«.
Doch Amanda ist noch nicht fertig. Sie sieht sich immer noch die Entwürfe an und kaut an ihrer Lippe.
»Außerdem sind die Sachen weniger kommerziell, als ich erwartet habe. Sie sind einfach zu …«
»Zu überladen?«, schlägt Kazuko vor.
»Zu umständlich?«, wirft ein Typ ein.
»Zu kompliziert?«, seufzt ein anderer.
»Aber es sind ganz normale Reißverschlüsse dran«, wende ich etwas ratlos ein. »Und Knöpfe.«
»Lloyd meint, sie sind zu kompliziert in der Herstellung«, sagt Amanda. »Bei großen Mengen. Bei den richtigen Preismargen.«
Wieder nicke ich weise. Wir Manager kennen uns mit Preismargen aus. Das tue ich tatsächlich. Ich hatte es
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