Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
vergessen, aber Krähes Entwürfe müssen für einen festgesetzten Preis verkäuflich sein. Soundso viel für ein T-Shirt. Soundso viel für ein Kleid. Soundso viel für einen Rock. Und das ist der Preis, für den sie im Laden verkauft werden. Die Herstellung muss einen Bruchteil davon kosten. Was nicht geht, wenn sie voller Pailletten, Spitze und Federn sind.
Alle sitzen wortlos um den Tisch und sehen einander seufzend an.
Krähe drückt wieder meine Hand. Sie sieht erschöpft und wie betäubt aus – selbst die Schmetterlinge in ihrem Haar scheinen die Flügel hängen zu lassen – und ausnahmsweise fliegen ihr keine tollen Ideen zu, mit denen sich das Problem aus der Welt schaffen ließe.
Kein guter Moment, scheint mir, um auch noch das Thema Kinderarbeit auf den Tisch zu bringen.
»Und übrigens«, schiebt Amanda mit einem Seufzer hinterher, »da wäre auch noch das Thema Kinderarbeit, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.«
Hilfe.
»Wirklich?«
»Ja, wirklich.« Langsam wirkt sie immer weniger wie eine Lieblingstante und immer mehr wie unsere Schuldirektorin. »Wir bekommen haufenweise Fragen nach unseren moralischen Richtlinien. Und die meisten Leute erwähnen No Kidding oder den Artikel in der Sunday Times oder Edies Website oder alle drei. Die Leute glauben tatsächlich die Gerüchte, wir würden Kinder nähen lassen.«
»Verstehe«, sage ich. »Das ist wirklich ein Problem. Ich meine, ich weiß, dass ihr Leute hinschickt, die die Fabriken besuchen und nachsehen und so weiter, aber …«
Amanda schneidet mir das Wort ab.
»Ja, das tun wir. Und unsere Leute leisten gute Arbeit. Könnt ihr eure Freundin dazu bewegen, darüber zu berichten und den ganzen Nonsens zu beenden? Unsere Kleider werden von erwachsenen Arbeitern hergestellt, die faire Löhne bekommen.«
Ich schlucke. Diesen Ton kenne ich von Amanda gar nicht. Wo sind die Fantastischs und Entzückends und Wunderschöns geblieben? Wo kommt »Nonsens« her?
»Wir sehen, was wir machen können«, flüstere ich.
Zum ersten Mal seit Ewigkeiten lächelt sie wieder. »Danke. Du schaffst das bestimmt. Und Krähe kann ihre Entwürfe sicher noch mal überarbeiten und etwas machen, das ein bisschen einfacher und machbarer ist, in einer Woche oder so. Das geht doch, oder, Krähe?«
»Ja«, sagen wir. »Nein«, denken wir.
Das ist so unfantastisch und unentzückend.
Fünf Minuten später stehen wir wieder auf der Oxford Street und ich kann kaum fassen, was gerade passiert ist.
»Alles in Ordnung?«, frage ich Krähe.
Sie zuckt die Schultern und runzelt die Stirn und zögert einen Moment, dann zuckt sie wieder die Schultern.
Ich weiß genau, was sie meint.
»Preismargen? Habe ich das richtig verstanden? PREISMARGEN?«
»Ja«, sage ich nervös. »Du weißt schon, wenn sie die Sachen nicht zum richtigen Preis verkaufen können, dann wollen die Leute nicht …«
»Hier müssen Kinder wie SKLAVEN arbeiten. SECHZEHNSTUNDEN-TAGE. In dreckigen Lagerräumen. Ohne Pause. Ohne Spielen. Ohne Schule. Und du machst dir einen Kopf wegen PREISMARGEN?«
»Ich nicht. Amanda.«
Edie nimmt die Sache weniger gut auf, als ich gehofft hatte. Ich dachte, ich rufe sie an, sobald sie von ihrem letzten Schachturnier zu Hause ist. Jetzt frage ich mich, ob das eine gute Idee war.
»Du hast keine echten Beweise, dass sie Kinder arbeiten lassen«, sage ich.
»Doch, die habe ich. Du hast die Fotos selbst gesehen.«
»Es könnten Fälschungen sein.«
»Genauso wie der Zettel von Roksanda Ilin č i ć , der gerahmt in deinem Zimmer an der Wand hängt. Aber es ist keine Fälschung.«
Ich bin beeindruckt, dass sie sich daran erinnert, dass er von Roksanda Ilin č i ć ist. Ihre Kreationen sind sooo romantisch und Krähe ist ein großer Fan von ihr. Aber darum geht es hier nicht.
»Wir waren uns einig, dass wir nicht wissen, wem wir glauben sollen.«
»Wir waren uns einig, dass wir nicht wissen, was wir unternehmen sollen. Aber jetzt weiß ich es. Ich habe nachgedacht.«
Ich seufze. Es wird immer gefährlich, wenn Edie nachgedacht hat.
»Außerdem geht es nicht nur um Krähes Kollektion. Es passiert überall auf der Welt. Jedes Mal wenn du eine billige Jeans in einem Supermarkt kaufst, musst du dich fragen, wie es sein kann, dass sie so billig ist. Wer hat sie gemacht? Wie viel hat er dafür bekommen? War das fair?«
Ich muss zugeben, dass ich abschalte, als sie »billige Jeans in einem Supermarkt« sagt. Ich trage einfach keine Jeans. Und ich kaufe selten
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