Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
schon etwas langsamer.
Als wir reingehen, ist die Atmosphäre »gemütlich«, wie Mum es ausdrücken würde. Harry und ich würden »Sardinenbüchse« dazu sagen. Das Theater ist kaum größer als unsere Schulaula. Alles ist schwarz gestrichen und einen Vorhang gibt es nicht. Geschweige denn Operngläser. Oder Platz. Wir sind an die zweihundert und so zusammengepfercht, dass wir praktisch in vertikalen Reihen aufeinandersitzen. Die Sitze sind hart – eigentlich sind es nur einfache Holzbänke. Trotzdem wirkt es nicht kümmerlich. Im Gegenteil, die Stimmung ist super. Es ist, als würde es allen Spaß machen, ein bisschen zu leiden, um zu sehen, was ihre Freunde auf der Bühne zu Stande bringen. Es hätte mich nicht überrascht, wenn jemand einen Kanon angestimmt hätte.
Dann gehen die Lichter aus. Aus Mitgefühl für Jenny ist mein Magen auf die Größe einer Erbse geschrumpft. Der Arme hat in letzter Zeit so viel mitgemacht, dass es mich wundert, wie er überhaupt noch arbeiten kann.
Glücklicherweise gilt Jennys Freund Bill nicht umsonst als brillanter Dramatiker. Als das Stück in Gang kommt, ist es überraschend witzig, und nach all den Klagen, wie viel Text Sigrid an sich gerissen hat, hat Jenny mehr zu sagen, als ich dachte. Den Schauspielern auf der Bühne macht es Spaß, das merkt man ihnen an. Und das Zuschauen macht auch Spaß.
Als sich die Darsteller am Ende verbeugen, sieht Jenny glücklicher aus, als ich sie seit Wochen gesehen habe. Fast so glücklich, wie bevor Sigrid aufgetaucht ist. Ihre Wangen sind rosig und sie genießt den Applaus, der laut und lang und begeistert ist. Ich bin so froh, dass sie sich entschieden hat mitzumachen. Hoffentlich findet sie nach der Kid Code- Katastrophe jetzt endlich ihr Selbstvertrauen wieder. Denn sie hat es verdient. Ich weiß, dass sie meine Freundin ist, und ich bin nicht objektiv und so weiter, aber Jenny war richtig toll und ich bin unglaublich stolz auf sie.
Am nächsten Tag gehen wir nach der Schule alle zu mir und durchforsten die Zeitungen und das Internet nach Neuigkeiten über das Stück. Natürlich gibt es viele Fotos von Sigrid, wie sie vor dem Theater ankommt und später mit Sonnenbrille und dem »Ich bin beim Theater, bitte keine Fotos«-Gesicht wieder geht. Aber die meisten Journalisten warten immer noch auf den Auftritt im Westend und bis jetzt sind nur vier winzige Besprechungen erschienen.
Sie sind alle nur etwa sechs Zeilen kurz, aber dafür sehr positiv, was das Stück und alle Schauspieler angeht. Jede erwähnt, wie umwerfend Sigrid in natura ist. Ein paar erwähnen auch, was für eine überraschend gute Schauspielerin Jenny ist, »für eine Sechzehnjährige«. Auf jeden Fall ist sie besser, wenn keine Filmkameras laufen.
»Wie geht es dir?«, frage ich.
Jenny strahlt. Alles ist genau so, wie sie gehofft hatte.
Wir sehen sogar bei Twitter nach.
@sigsantorini war absolut spitze , sagt Joe Yule, als wäre er dabei gewesen. Er vergisst das Stück zu erwähnen oder sonst jemand, der mitgespielt hat, aber mit den anderen ist er ja auch nicht zusammen.
Inzwischen muss Jenny zur zweiten Vorstellung aufbrechen. Ihr Telefon piept und es ist eine SMS von Sigrid. »Bin bei Krähe. Nonies Mutter sagt, du bist hier. Wollen wir zusammen fahren?«
Das ist ein bisschen unheimlich. Wenn du jemand Berühmtes im Internet googelst, rechnest du nicht damit, dass die Person zur gleichen Zeit im gleichen Haus ist wie du und dir eine SMS schickt. Aber dann fällt es uns wieder ein – die Anprobe. Wahrscheinlich hat sie sich von Krähe das Meeresgöttinnen-Kleid anpassen lassen. Wir marschieren nach unten und da steht sie im Flur, in Jeans und Pullover und mit Pferdeschwanz, und sieht, wie Joe Yule sagen würde, »spitze« aus.
Pflichtbewusst gratuliere ich ihr zum gestrigen Auftritt. Sie schenkt mir ein atemloses »Danke«, ohne mich vom letzten Jahr, als sie PRAKTISCH MEIN LEBEN ZERSTÖRT HAT, wiederzuerkennen. Oder Edie, die wie versteinert neben mir steht. Dafür bekommen Krähe und Jenny übertriebene Küsschen, bevor Sigrid engelsgleich aus dem Haus trippelt, wo ein weißer Bentley auf sie wartet, um sie zur Arbeit zu fahren. Ich bin mir nicht sicher, wie typisch »Theaterschauspielerin« das ist, aber dem Grinsen nach, das Jenny uns über die Schulter zuwirft, als sie hinter Sigrid einsteigt, scheint sie zufrieden es auszuprobieren.
Krähe stellt sich neben uns und winkt zum Abschied.
»Wie geht’s mit dem Kleid?«, frage ich.
Sie lächelt.
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