Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
Sachen zum Anprobieren auf und stelle mich in die Schlange vor den Umkleidekabinen. Und genau da stehe ich, als ich plötzlich höre, wie jemand meinen Namen ruft.
Ich drehe mich um. Eine ein Meter achtzig große Göttin schwebt auf mich zu und strahlt mich an. Dann sehe ich, dass es Svetlana ist, in Overall und hochhackigen Riemchensandalen.
Sie gibt mir einen dicken Kuss. »Wir haben uns ewig nicht gesehen! Wie geht es dir?«, fragt sie.
»Gut«, lüge ich.
Dann dreht sie sich um. »Lulu«, ruft sie, »komm mal her! Schau, wer hier ist.«
Zuerst denke ich, wie lieb Svetlana ist. Bei all der russischen Volksmusik bin ich mir ziemlich sicher, dass es zwischen ihr und Harry gelinde gesagt nicht so gut läuft, aber das heißt nicht, dass sie mir auf der Straße aus dem Weg gehen würde. Ich finde das ziemlich tapfer und bewundernswert von ihr und mag sie deswegen noch mehr als vorher.
Dann denke ich: »OH. MEIN. GOTT.«
Lulu ist Lulu Frost. Und sie ist nicht nur mit ihrer Model-Kollegin und Freundin da, sondern auch mit ihrem Immer-mal-wieder-FREUND. Ich sehe ihn drei Regale weiter. Er hebt den Kopf. Sein Blick gefriert. Genau wie meiner.
»Hi«, sagt Lulu, als sie bei uns ist. »Du musst Nonie sein. Svetlana hat mir alles über dich erzählt.«
O nein, hoffentlich nicht, denke ich panisch. Dann fällt mir ein, dass ich Svetlana seit Alexanders erstem Anruf nicht mehr gesehen habe. Vielleicht weiß sie gar nicht, dass wir uns getroffen haben.
Er kommt langsam näher. Sein Ausdruck ist leer, bis auf ein höfliches Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. Ich habe keine Ahnung, was er denkt, aber ich weiß, was ich denke. Ich denke: BITTE, LIEBER GOTT, SPULE DIE NÄCHSTEN FÜNF MINUTEN VOR, DAMIT ICH SIE NICHT ERLEBEN MUSS.
»Das ist mein Freund«, sagt Lulu fröhlich. »Alexander Taylor.«
Er streckt mir die Hand entgegen. »Nett dich kennenzulernen«, sagt er mit einem langen, leeren Blick.
Ich nehme seine kalten, selbstbewussten Finger. Dann lasse ich sie fallen. Ich will etwas Witziges und Spitzes sagen, das nur er versteht und ihm klarmacht, was für ein mieser fieser Schürzenjäger er offensichtlich ist, aber mir fällt nichts ein außer: »Hi Alexander.« Nur dass es klingt wie: »Hggh, Aarenggsedr«, weil meine Stimme nicht richtig funktioniert.
Svetlana sagt etwas. Ich verstehe sie nicht, weil mein Gehirn vor lauter Peinlichkeit laut pfeift, und sie muss es wiederholen. Eine zarte Röte überzieht ihr Gesicht. Mit der sie natürlich noch umwerfender aussieht.
»Grüß deinen Bruder von mir.«
Ich nicke. Ich habe den Eindruck, dass es ein trauriger, wehmütiger »Hoffentlich geht’s ihm gut«-Gruß ist, kein »Hey, lass es uns noch mal probieren«-Gruß.
Ich habe keine Ahnung, warum die beiden Schluss gemacht haben. Sie waren so ein tolles Paar. Aber ich wette, ihre Trennung war würdevoll und etwas tragisch, und nicht brutal demütigend wie bei mir. Ich kann ja noch nicht mal sagen, dass es bei mir eine Trennung gab. Nach seinem versteinerten Gesicht zu urteilen war da nichts zu trennen. Wir haben uns nicht mal kennengelernt. Er war die ganze Zeit mit Lulu zusammen.
Dann erreiche ich wie durch Zauberei das Ende der Schlange vor den Umkleidekabinen. Ich sage Tschüs und renne in die nächste Kabine, wo ich an der Wand zusammensacke und unter einem riesigen Berg von Kleidern, die ich nie tragen werde, zu Boden rutsche und wünschte, ich hätte Mums Rat befolgt und in wasserfeste Wimperntusche investiert.
Ich finde die perfekte Gelegenheit, um Harry Svetlanas Gruß auszurichten. Auf dem Flug nach Mumbai. Am Ende kommt er als Aufpasser mit, denn er ist schon mal in Indien gewesen und alle anderen haben entweder zu viel zu tun (Mum mit ihren Künstlern, Edies Eltern, die beide Lehrer sind, mit ihren Schülern und Edies kleinem Bruder, Henry mit seinen Prüfungen) oder sie haben Angst vor einem Sonnenstich und geschwollenen Knöcheln (Granny).
Also sitzen Harry und ich neun Stunden nebeneinander fest. Mir hat davor gegraut, denn ich weiß, dass es mir vollkommen unmöglich ist, so lange neben meinem Bruder zu sitzen, ohne ihm jedes peinliche Detail von Alexander zu erzählen. Sein Feixen war schlimm genug, als ich noch mit Alexander ging. Ihm jetzt vom Nicht-Ende unserer Nicht-Beziehung zu erzählen wird noch viel schlimmer.
Am Anfang ignorieren wir einander mehr oder weniger. Harry hat seinen iPod und ich habe fünf SCHULBÜCHER, die ich während der Reise zur Prüfungsvorbereitung
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