Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
durcharbeiten soll. Ha ha ha. Außerdem muss ich Zeitschriften lesen und Filme sehen, und ich kann mich auf der anderen Seite des Gangs auf Edies Armlehne setzen und mit ihr und Krähe quatschen. Aber dann kommt das Essen und ich lande wieder neben Harry, ganz ohne Ablenkung. Ich zögere das Thema Alexander hinaus, indem ich nach Svetlana frage.
»Ist es wirklich vorbei?«
Er nickt.
»Warum?«
Er sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Doch das ist bei Harry ganz normal. Die Hälfte der Blicke, mit denen er mich ansieht, deuten an, dass er an meiner geistigen Gesundheit zweifelt.
»Du weißt schon«, sagt er, »das Leben eben.« Was mich nicht wirklich weiterbringt.
»Hat sie etwas getan?«, frage ich. »Oder du?« Bei der zweiten Frage muss ich schlucken. Das Problem ist, ich kann mir bei beiden nicht vorstellen, dass sie was angestellt haben. Aber warum enden Beziehungen zwischen zwei richtig guten Menschen eigentlich? Ich meine, natürlich kenne ich Romeo und Julia und da gab es Missverständnisse und vorgetäuschte Tode und Selbstmorde, aber das ist ein bisschen extrem.
»Nein«, sagt er schließlich. »Sie hat nichts getan. Und ich auch nicht. Ich schätze, es war einfach schlechtes Timing.«
Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll. Nicht die geringste. Es gibt so vieles, das ich bei Beziehungen nicht verstehe.
»Wenigstens hast du den Strumpfhosenheini abserviert, bevor es stressig wurde«, sagt er dann und sucht auf seinem Tablett nach etwas Essbarem.
Ich bin verblüfft.
Erstens hat Harry einen Spitznamen für meinen Ex-Nicht-Freund. Und keinen besonders netten.
Zweitens denkt er, es hätte eine Zeit gegeben, die nicht stressig war. Wann soll das gewesen sein? Wann? Wann?
Drittens klingt er fast ein bisschen neidisch, weil es so schnell vorbei war.
»Es war stressig, glaub mir«, sage ich. Irgendwie habe ich das Bedürfnis, ihm zu versichern, wie armselig mein Liebesleben ist, damit er sich besser fühlt. Mein Bruder, der ein SUPERMODEL rumgekriegt hat, indem er sie einfach ANGESPROCHEN hat. Er hat Recht: Mein Gehirn scheint wirklich nicht richtig zu funktionieren.
»Okay«, sagt er. »Wir sitzen noch ein paar Stunden hier fest. Schieß los.«
Also fange ich an. Und einmal angefangen, kann ich nicht mehr aufhören. Der Ekel vor der schwitzigen Lippe. Die windige Bank. Der Horrorfilmkuss. Die Begegnung bei Topshop. Und Harry frotzelt kein einziges Mal. Er scheint nicht mal Lust dazu zu haben.
»Mum hat gesagt, ich soll dir sagen, du sollst ihm für mich eins auf die Nase geben.«
Er nickt, als hätte das geholfen.
»Am College sind auch ein paar Jungs wie er. Es geht ihnen immer nur um sich selbst. Sie benutzen hübsche Mädchen, um sich mit ihnen zu schmücken.«
Harry ist so lieb. Wegen der »hübschen Mädchen«. Auch wenn ich überrascht bin, dass er weiß, wie die Jungs am College sind, wo er doch so gut wie nie dort ist.
Mum glaubt, dass er im Sommer den Abschluss nicht schafft, und ist schon jenseits der Verzweiflung. Sie hat resigniert. Das Problem ist, ihre übliche »Wie zum Teufel willst du mal einen Job finden«-Nummer zieht nicht, weil er längst ein heiß begehrter DJ ist und schon für viele der Frühjahr/Sommer-Modenschauen im September gebucht wurde. Sie kann ihm auch nicht vorwerfen, dass er nichts tut, weil er die ganze Zeit an seiner Musik arbeitet. Also lässt sie es an mir aus und erklärt mir einmal die Woche, dass Harry ein »Ausnahmefall« ist, und wenn ich mich nicht mächtig anstrenge und einen guten Abschluss mache, werde ich es »für den Rest meines Lebens bereuen«.
Ich könnte kontern, dass sie während ihrer gesamten Teenager-Zeit gemodelt hat und schulisch nicht sehr weit gekommen ist und heute trotzdem eine ziemlich erfolgreiche Kunsthändlerin ist, und abgesehen davon HABE ICH SCHON EINEN JOB, OBWOHL ICH NOCH NICHT MAL MIT DER SCHULE FERTIG BIN. Aber das tue ich nicht. Sie hat diesen Blick drauf, dem man nichts entgegnen kann. Und es ist die Mühe einfach nicht wert.
»Also war es richtig, dass ich ihn abserviert habe?«, frage ich Harry.
Er tätschelt mir brüderlich den Kopf. »Es war heldenhaft, dass du ihn abserviert hast. Wirklich heldenhaft, Kleines. Ich bin beeindruckt, was du so draufhast.«
Ich beeindrucke mich selbst manchmal, vor allem mit den gruseligen Situationen, in die ich mich dauernd bringe. Aber es fühlt sich gut an, Harry wieder auf meiner Seite zu haben. Jetzt merke ich erst, wie sehr ich ihn vermisst
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