Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
auswählt, während eure Mitschüler zu Hause pauken müssen.
Noch besser ist mit einer nagelneuen bestickten Tasche randvoll mit billigem Schmuck und Souvenirs auf einem Basar zu stehen und Mangoeis zu essen, während ihr plant, welche Geschäfte und Stände ihr als Nächstes besucht. Es gibt Läden in zahllosen Größen und Formen, von marmorgefliesten Shoppingmalls, wo Bollywood-Hits gespielt werden, bis zu fliegenden Händlern, die Flipflops anbieten, und Mrs Patil scheint überall Expertin zu sein.
Selbst Edie lässt sich anstecken und fängt an über ein paar Schals zu verhandeln, die ihr gefallen. Nur beim Mangoeis bleibt sie hart: »Es ist von einem Marktstand! Ihr habt keine Ahnung, was da drin ist!«
Ist mir auch egal. Edie hat keine Ahnung, wie köstlich es ist. Viel besser als das langweilige Flaschenwasser, das sie ständig trinkt.
Krähe ist wieder wie in Trance, wie damals in Frankreich. Wenn schon die Pariser Métro ein Highlight für sie war, sind die Straßen von Mumbai mit der Hitze und dem Dreck und dem dunstigen blauen Himmel und den bunten Verkäufern und den Bettlern und den fleißigen Geschäftsleuten und dem endlosen Verkehr genug, dass sie für den Rest ihres Lebens von den Bildern zehren kann.
Nur zwei Dinge machen uns zu schaffen. Eins sind die Blicke mancher Männer und Jungen. Mrs Patil sagt uns, wir sollen sie einfach ignorieren, was wir irgendwie tun, aber ich bin WIRKLICH froh, dass ich heute Morgen nicht in Hotpants aus dem Haus gegangen bin. Das zweite ist das Betteln. Es stört uns weniger, dass wir um Rupien gebeten werden – kein Problem, wir haben genug davon. Es sind die Kinder, die es tun. Sie sind barfuß und hartnäckig. Sie haben den gleichen Ausdruck in den Augen wie Miss-Teen-Kundinnen auf der Schnäppchenjagd (auch wenn sie sonst nichts gemeinsam haben), und egal was wir ihnen geben, sie scheinen immer verzweifelt mehr zu wollen. Mrs Patil verscheucht sie, aber sie scharen sich trotzdem immer wieder um uns. Edie ist erschüttert. »Sie sind noch so klein! Und so dünn! Wer kümmert sich um sie?«
Mrs Patil lacht. »Niemand! Sie sind einfach Teil der Stadt. Man gewöhnt sich daran.«
Sie nickt Krähe zu, die ein staunendes kleines Mädchen ihren Lockenschopf betasten lässt, den sie mit ein paar Windrädchen vom Basar geschmückt hat. In Mumbai gibt es so viel zu sehen, doch selbst hier verhält sich Krähe ungewöhnlich.
Edie lächelt Mrs Patil höflich an, aber ich sehe ihr an, dass sie sich nicht daran gewöhnen will. Am liebsten würde sie jedes Kind mit nach Hause nehmen und mit neuen Kleidern, Nachhilfe und einer warmen Mahlzeit versorgen. Unter den gegebenen Umständen leert sie ihren Geldbeutel bis auf die letzte Rupie und versucht danach die ausgestreckten Hände und die »Schöne Frau«-Rufe zu ignorieren. Sie ist sehr erleichtert, als Mrs Patil vorschlägt Mittagspause zu machen und auf ein Café zeigt, wo es jede Menge keimfreies Essen gibt, das uns ablenkt.
Am Nachmittag besuchen wir weitere Märkte und Einkaufszentren. Gegen Abend sind Edie und Krähe völlig erledigt und selbst ich weiß nicht, ob ich noch ein Sari-Geschäft verkraften würde. Mrs Patil beschließt für heute Schluss zu machen. Sie bringt uns zurück zu unserem Hotel.
»Morgen seht ihr die Fabrik«, sagt sie. »Mein Mann schickt einen Wagen, der euch um sieben abholt.«
Um sieben? Das ist ein bisschen früh. Klingt fast wie Arbeit, nicht wie Ferien. Dann fällt mir wieder ein, dass es Arbeit ist. Wir nicken und beschließen, früh ins Bett zu gehen.
Harry wartet oben auf uns.
»Wie war das Festival?«, frage ich.
Er grinst. »Fantastisch. Ich habe mindestens zwanzig Leute spielen hören. Sie wollen, dass ich im Oktober zur Fashion Week wiederkomme.«
»In Mumbai gibt es eine Fashion Week?«, fragt Edie.
Harry nickt. Es ist merkwürdig, einen Bruder zu haben, der sich in der Modebranche so gut auskennt wie ich, aber andererseits ist er auch mit einem Supermodel zusammen. Oder war es zumindest. Für einen Augenblick huscht ein trauriger Ausdruck über sein Gesicht, doch er ist sofort wieder verschwunden. Ich will ihn in den Arm nehmen, aber das tue ich natürlich nicht. Unsere Blicke treffen sich und wir müssen nichts sagen.
Er ist so nett uns nach unserem Tag zu fragen, und auch wenn wir nur shoppen waren, schafft er es, interessiert auszusehen. Wir breiten unsere Einkäufe auf dem Bett aus. Rot und pink und gelb und blau, Seide und Baumwolle, schlichte Schals und einen
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