Modemädchen Bd. 2 - Wie Marshmallows mit Seidenglitzer
hat. Krähe ist wieder ganz die Alte. Unglücklicherweise neigt die alte Krähe dazu, sich in die Arbeit zu stürzen, ohne viele Worte zu verlieren, und so muss ich abwarten, bis ich erfahre, was passiert. Na ja, wenn ich mir meine Liste so ansehe, haben wir noch eine ganze Woche Zeit, bis sie Andy Elat etwas vorzeigen muss. Also kein Druck. KEINE PANIK.
Ich versuche nicht daran zu denken. Was für ein Glück, dass Jenny und ich das Problem mit ihrem Kleid für die Premierenfeier haben.
Ich treffe Granny am nächsten Tag in der Lobby des Ritz und bin erleichtert, dass sie einen sehr großen Karton dabeihat.
»Hüte es wie deinen Augapfel, meine Liebe«, sagt sie. »Du hast nicht die leiseste Ahnung, was ich dafür tun musste.«
Doch ich habe sehr wohl eine Ahnung. Ich kann mir vorstellen, wie Granny sich einen ganzen Vormittag lang bei einem ihrer alten Freunde einschleimen musste, was für sie bekanntermaßen das Allerletzte ist. Dankbar nehme ich sie in den Arm und drücke sie, wobei ihr Issey-Miyake-Blazer zerknittert. Aber der Knitterlook ist extra, deshalb macht es ihr nichts aus.
Wir parken den Karton eine Weile beim Empfangschef des Hotels und dann nimmt Granny mich mit zur Royal Academy, wo wir uns Kunst ansehen und ich ihr von Indien erzählen kann. Es fühlt sich jetzt schon so an, als wären wir nie weg gewesen.
Anschließend treffe ich mich mit Jenny und Krähe bei uns zu Hause, um Plan Jenny in die Tat umzusetzen. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Krähe sollte sich ganz auf die Miss-Teen-Kollektion konzentrieren, doch ich brauche sie für ein paar Stunden, damit sie uns im Kampf gegen die Königin des Bösen hilft. Zum Glück kann sie, als sie den Inhalt des Kartons sieht, es kaum abwarten, ans Werk zu gehen.
»Es ist wunderschön.«
Wir müssen ein paar Minuten warten, während sie zärtlich über den Stoff streicht, als hätte sie eine heilige Reliquie oder so was vor sich.
Dann sieht sie Jenny aufmerksam an und legt den Kopf schräg. »Das wird leichter, als ich dachte«, sagt sie.
Ich weiß, was sie meint, und das macht mir Angst.
Krähe denkt an die Änderungen. Im Kopf versetzt sie die Nähte und passt den Schnitt an. Das, was ihr – aus rein praktischer Sicht – entgegenkommt, ist, dass von Jenny viel weniger da ist als noch vor ein paar Wochen, als wir sie zuletzt gesehen haben. Ich gebe zu, es vereinfacht Plan Jenny, doch es bedeutet auch, dass meine Freundin mit alarmierendem Tempo abgenommen hat. Aus freundschaftlicher Sicht ist das sehr schlecht.
»Geht es dir gut?«, frage ich.
»Okay«, sagt Jenny mit der erstickten Stimme, die unter Freundinnen »nicht gut« heißt.
»Was ist passiert? Wie sind die Kritiken? Sie haben hoffentlich nicht deine Rolle gestrichen?«
Sie zuckt die Schultern und schüttelt den Kopf.
»Oje, es ist doch nicht Sigrid, oder? Sag nichts. Sie will, dass Joe Yule deinen Vater spielt.«
Jenny schüttelt den Kopf und kichert.
»Sie will, dass du jedes Mal, wenn sie auf die Bühne kommt, einen Knicks machst?«, stimmt Krähe ein.
Jenny lächelt. Doch statt zu antworten, fragt sie: »Kann ich euch was zeigen?«
Ich sage Ja. Krähe hat alle Hände voll zu tun, also lassen wir sie arbeiten und Jenny und ich fahren mit der U-Bahn nach Covent Garden. Kurz fürchte ich, wir gehen zum Royal Opera House, wo mein Ex-Nicht-Freund zu Hause ist und wo ich so bald nicht wieder hinwill. Doch sie führt mich in eine Seitenstraße und dann verstehe ich, dass wir auf dem Weg zum großen gruseligen Schauspielhaus sind, wo vor ein paar Tagen die Voraufführungen begonnen haben und die riesige elektrische Leuchtschrift jetzt schon TOCHTER IHRES VATERS buchstabiert.
Zurzeit ist irgendeine technische Umrüstung in letzter Minute im Gange. Überall sind Leute in schwarzen T-Shirts und mit Kopfhörern, die schwer beschäftigt aussehen und sich Notizen machen und Gerätschaften begutachten. Sie kennen Jenny, weshalb es sie nicht stört, dass wir leise im Hintergrund stehen.
»Wie findest du es?«, flüstert Jenny.
Ich lasse den Blick über die Reihen und Reihen und Reihen von Sitzen schweifen. Die Hütte ist riesig. Im Vergleich war das Boat House so groß wie der Kartenkiosk. Es passen wahrscheinlich an die zweitausend Leute hier rein. Wenn ich auf der Bühne da unten stehen würde, so weit weg, vor einem so riesigen Publikum, würde ich mir vor Angst in die Hose machen.
»Es sieht super aus!«, sage ich. »Unglaublich. Du musst total aufgeregt sein.«
Ihr Gesicht
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