Moderne Piraten
Gewinn gebracht und ihm aus allen geldlichen Schwierigkeiten geholfen. Chemikalienhandel? Ein bitterer Zug spielte um seinen Mund. Ein Chemikalienhandel war es schon, aber ganz anders, als er sich das bei der Gründung seines Handels als ehrbarer Kaufmann gedacht hatte, ein Ausfuhrhandel, der Siechtum und Tod zu vielen Tausenden brachte, ein Handel, den das Gesetz mit den strengsten Strafen belegte. Rasmussen sprang auf. Er mußte sich endlich freimachen von dieser Kette. Er wollte, er mußte es. Sein altes Herzleiden meldete sich. Immer wieder griff seine Rechte an die Brust. Er wollte den Rest seines Lebens in Ruhe verbringen. Mochten die andern treiben, was sie wollten! Verraten wollte er sie nicht, aber freikommen aus dem gefährlichen Getriebe. Den ersten Schritt dazu hatte er heute mit der Erteilung der Vollmacht getan. Hoffentlich würde es ihm bald ganz gelingen.
*
Gransfeld saß im Lesezimmer des Hotels und blätterte zerstreut in den Zeitungen. Seine Stimmung war nicht die beste; ihn bedrückte der Mißerfolg von gestern. Zwar der Holländer und die Rumänin waren zurückgekommen und wohnten weiter hier, aber die verdächtigen Koffer waren verschwunden. Jagte er nicht am Ende nur einem Trugbild nach? Er griff nach einer andern Zeitung und faßte zufällig das »Journal de Genève«. Immer noch halb abwesend, ließ er seine Augen über die Spalten gleiten. – Da! Was stand da? »Genève … Musée des Arts. Wertvolles Angebot.«
Was war das? Eine ägyptische Statuette aus dem dritten Jahrtausend vor Christus war durch einen griechischen Kunsthändler angeboten worden.
Gransfeld packte die Zeitung mit beiden Händen und brachte sie dicht vor die Augen. Wort für Wort las er die Notiz noch einmal.
Dem Direktor des Museums war die Statuette von einem namhaften, seit Jahren auf dem internationalen Markte bekannten griechischen Altertumshändler zum Kaufe angeboten worden.
Nach allem, was Gransfeld von Herrn Megastopoulos wußte und ahnte, konnte er ihn sich schwer als einen angesehenen Kunsthändler vorstellen. Vielleicht war’s die so oft erwähnte »Duplizität der Ereignisse«, die ihm hier eine Möglichkeit vorgaukelte. Schließlich gab es ja noch mehr ägyptische Statuetten aus dem dritten Jahrtausend. Doch immerhin, es war eine Möglichkeit. Da stand am Schlusse der Notiz noch eine Bemerkung, daß der Händler sein Angebot auf vierzehn Tage aufrecht erhalte.
Vierzehn Tage! Gransfeld überlegte. Zwei Wochen! Eine lange Zeit. Bis dahin mußten die Dinge hier jedenfalls irgendwie zu einem Ende kommen. Er beschloß, die Museumsangelegenheit im Auge zu behalten und nötigenfalls selbst nach Genf zu fahren.
Auf seinem Zimmer erwartete ihn Rudi. »Etwas Neues, Herr Doktor! Die Rumänin will fort. Sie ist heute vormittag auf dem Reisebüro gewesen.«
»Woher weißt du das, Rudi?«
»Weil ich auch auf dem Büro war. Ich bin ihr vorsichtig nachgegangen und stand im Gedränge dicht hinter ihr, als sie sich eine Fahrkarte nach Gorla besorgte. Mit dem D-Zug morgen früh um neun Uhr dreißig will sie fahren.«
Gorla? Gransfeld warf sich in einen Klubsessel und schloß sekundenlang die Augen. Gorla, die Gorla-Werke! Das war einer der großen Konzerne, in dem sich tagein, tagaus die Wunder der modernen Chemie abspielten. Aus den Destillationserzeugnissen des unansehnlichen, übelriechenden Steinkohlenteers entstanden dort die leuchtenden Anilinfarben und die kostbaren Duftstoffe. Aber auch alle Arzneimittel der Neuzeit ließ die chemische Industrie dort aus dem Steinkohlenteer entstehen. Arzneimittel? Mit geschlossenen Augen glaubte Gransfeld die Spur zu erblicken. Undeutlich begann sie in Syut, führte über Port Said, immer klarer werdend, nach Hamburg und zog sich wie ein leuchtendes Band nach Gorla weiter. Sollte er ihr folgen? Kein Zweifel mehr, das richtige war es.
Er sprang auf. Seine Gestalt reckte sich, sein Entschluß war gefaßt.
Verwundert hörte Rudi den sonst so gesetzten Doktor laut vor sich hin pfeifen; die Stelle aus Carmen war es: »Auf in den Kampf, Torero!« Jäh brach er ab. »Los, Rudi! Hier hast du Geld. Geh zum Büro und besorge zwei Plätze! Wir fahren morgen mit demselben Zug nach Gorla.« —
Am andern Morgen um 9 Uhr 30 verließ der D-Zug mit Gransfeld und Rudi den Hamburger Hauptbahnhof. Bei der Abfahrt hatten sie die Rumänin nicht zu Gesicht bekommen, aber nach den bestimmten Erkundigungen Rudis war es ja sicher, daß sie irgendwo in dem Zuge sein mußte. Eigentlich war es
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