Moderne Piraten
Herren durch das Hauptportal aus dem Werk und ging in seine Wohnung. Seine Wirtschafterin war schon auf und empfing ihn auf dem Flur.
»Ach Gott, Herr Rübesam, da kommen Sie ja endlich! Sie weg, und der junge Herr weg! Gruselig war’s die ganze Nacht so allein. Der Wind hat an meinem Fenster geklappert und geschüttelt, daß ich’s im Bett nicht mehr aushalten konnte. Da bin ich schon früh raus.«
»Was sagen Sie, Frau Schmidt?« unterbrach Rübesam den Wortschwall der Alten. »Der junge Herr ist nicht da? Ja, wo steckt denn der?«
»Ja, Herr Rübesam, das weiß ich auch nicht. Er ist gestern abend noch mal zu dem Elf-Uhr-Zug auf den Bahnhof gegangen. Mir hat er nur gesagt, er müsse Sie dringend sprechen und wolle Sie auf dem Bahnhof abholen. Weiter habe ich dann nichts mehr von ihm gehört. Heute nacht, so um drei rum, wurde mir aber so graulig; da bin ich wieder aufgestanden, und wie ich die Treppe hinaufkomme, da war die Tür zur Spindenstube weit offen und die Tür zur Schlafstube des jungen Herrn auch, aber der Herr Rudi war nicht da.«
»Und ist seitdem auch nicht gekommen?« unterbrach sie der Chemiker.
»Nein, Herr Rübesam, außer Ihnen ist niemand gekommen.«
Während Rübesam noch überlegte, was er unternehmen könnte, ging die Hausklingel.
»Vielleicht kommt er jetzt, Frau Schmidt.«
Er drehte sich um und öffnete die Haustür. Meister Schulz stand vor ihm.
»Was gibt’s Meister?«
»Herr Rübesam, als Sie mit den Herren weggegangen waren, da haben wir den ganzen Platz noch mal genau abgesucht und hinter dem einen Blechstapel da, ganz nahe bei der Plane, haben wir das hier gefunden. Die andern wollten es wegwerfen, aber ich habe mir gedacht, das mußt du Herrn Rübesam zeigen.«
Während er die letzten Worte sprach, zog er eine graue Perücke und eine Handvoll grauen Flachs aus der Jacke und hielt sie dem Chemiker hin. Mit hastigem Griff nahm dieser sie an sich. Mit einem Blick hatte er erkannt, daß es Dinge aus seinem Maskenbeutel waren, aus jenem Beutel, den Rudi in letzter Zeit so oft für seine Verkleidungskünste in Anspruch genommen hatte.
»Dicht bei der Plane haben Sie das gefunden?«
»Ja, Herr Rübesam.«
»So? Das ist sehr wichtig. Ich danke Ihnen, Meister Schulz. Es war gut, daß Sie damit zu mir gekommen sind. Sollten Sie noch irgend etwas anderes entdecken, so melden Sie es mir! Hier, bitte, langen Sie zu!« Er reichte ihm seine Zigarrentasche hin. »Nehmen Sie nur, Meister! Die Sorte kann der ärmste Mann rauchen.«
Mit vielem Dank und einer etwas linkischen Verbeugung nahm Meister Schulz eine Zigarre aus dem Etui. Er kam sich sehr wichtig vor, als er damit abzog. Kaum war er fort, als Rübesam an sein Telephon eilte und ein längeres Gespräch führte. Dann griff er nach Stock und Hut und ging in das Werk, vorbei an seinem Zimmer, den Korridor weiter, der zu dem Heroinsaal führte.
Eine Gestalt schrak zusammen, als er die schwere Eisentür hinter sich ins Schloß warf. Es war Altmüller, der gerade bei den Tablettiermaschinen stand. Rübesam sah sich um und ging auf ihn zu. »Wo ist Ihr Kollege, Altmüller? Wo steckt der Henke?«
Stotternd brachte Altmüller die Antwort heraus: »Herr – Herr Rübesam, der Henke ist eben mal rausgegangen – eben mal rausgegangen.«
»So, Altmüller? Eben mal rausgegangen? Was heißt eben? Wann ist er rausgegangen? Das möchte ich genau wissen.«
Während er die Frage stellte, sah er Altmüller scharf an. Dieser hielt den Blick nicht aus, schlug die Augen nieder und wurde immer verwirrter.
»Reden Sie, Altmüller! Versuchen sie nicht, mich zu belügen! Ich weiß mehr, als Sie denken.«
»Vor einiger Zeit ist er rausgegangen, Herr Rübesam. Er sagte, er wolle gleich wiederkommen.«
»Keine Umschweife, Altmüller! Genau auf Stunde und Minute will ich von Ihnen wissen, wann Henke hier fortgegangen ist. Ich warne Sie nochmals, lügen Sie nicht!«
Altmüllers Stimme klang weinerlich, als er antwortete: »Herr Rübesam, ich kann doch nichts dafür, daß er nicht wiedergekommen ist. Er hat’s mir doch fest versprochen, daß er wiederkommen wollte.«
»Zum Kuckuck, Altmüller, verstehen Sie kein Deutsch? Um wieviel Uhr und wieviel Minuten ist Henke hier rausgegangen? Wollen Sie endlich reden?«
»Ach, Herr Rübesam, das ist so gegen elf Uhr rum gewesen.«
»So, mein Freund! Um elf Uhr drückt sich der Halunke. Jetzt ist’s gleich sechs. Sie sind die ganze Schicht über allein im Saal und machen keine Meldung über das
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