Modesty Blaise 01: Die tödliche Lady
Tarrant?»
Verdutzt suchte Tarrant Modestys Augen. Sie war in ein lebhaftes Frage- und Antwortspiel mit einem halben Dutzend Araber verwickelt, die um das große Tuch herumhockten, und er entnahm den Lachausbrüchen, daß es ihrem Gespräch nicht an Witz fehlte. Aber sie mußte doch mit einem Ohr Tarrant zugehört haben, denn sie sagte, ohne sich nach ihm umzusehen: «Mae West» und klopfte sich schnell auf den Busen.
«Ach ja, Hoheit», sagte Tarrant erleichtert. «Ich kann leider nichts Verbindliches über Maiwest aussagen. Sie ist Amerikanerin. Aber ich glaube, es geht ihr sehr gut.»
«Ich hoffe, das ist so.» Abu-Tahir nickte gelassen.
«Sie hat sehr netten Besen.»
Tarrant war leicht erstaunt, daß Wein serviert wurde, nahm aber an, daß Abu-Tahir und seine Leute keine strenggläubigen Moslems waren. Und wieder war er überrascht, als nach dem Käse und Obst nicht Kaffee, sondern sehr starker Tee gereicht wurde, den man auf einer elektrischen Kochplatte dreimal aufwallen ließ und dann in Mokkatassen servierte.
Modesty rülpste laut, und Abu-Tahir strahlte vor Freude und Genugtuung. Eingedenk seiner Manieren versuchte es auch Tarrant tapfer, aber es gelang nicht.
Also brachte er eine Imitation vor und hoffte, daß sie bestehen würde.
«Ah!» sagte Abu-Tahir und klopfte Tarrant herzlich auf die Schulter. «Sir Tarrant ist listig. Er bringt El Sayyide zum Kaputtmachen dieser schlechten Hunde, die mir meine Diamanten wegnehmen wollen! Das ist gut!»
Tarrant begriff, daß man jetzt das Sachliche besprechen durfte. Er sagte: «Danke, Hoheit. Ich hatte das Gefühl, daß Modesty Blaise uns gut helfen könnte, diese schlechten Hunde zu entdecken. Aber ich wußte nicht, daß Sie beide alte Freunde sind.»
«Ah –» Abu-Tahir hob seine Hand, und seine Leute verstummten. «Ich will Ihnen erzählen, Sir Tarrant.
Lange, lange zurück, da ist ein kleines Mädchen. Sie kommt durch Malaurak. Es ist ein schweres Land. Sie ist allein. Ihre Kleider sind Lumpen, und sie hat Hunger. Aber keine Angst. Sie ist sehr –» er suchte nach dem Wort – «sehr wild, wie kleines, wildes Tier. Sie bittet nicht Hilfe – aber ich gebe. Ich nehme sie in unsere Zelte. Sage den Frauen, Essen ihr geben.»
Er legte eine Hand auf Modestys Linke, sie tauchte aus ihrer Versonnenheit auf und lächelte ihn an.
«Ich blieb ein halbes Jahr bei euch», sagte sie. «Und ich war die beste Ziegenhirtin deines ganzen Stammes, Abu-Tahir.»
«Ist wahr», nickte er, und von den hockenden Männern kam zustimmendes Gemurmel. Abu-Tahir wandte sich wieder Tarrant zu.
«Das Kind bekommt Fleisch auf Knochen», sagte er.
«Es tut uns leid, daß sie geht. Viele Jahre vergehen, zehn Jahre vielleicht, und sie ist vergessen.» Er zuckte die Achseln. «In Malaurak jeder Tag ist schwer. Der Mensch vergißt das Gestern. Aber dann kommen schlechte Leute, die wollen mir nehmen mein Land. Gierige Araber. Es gibt großen Krach, und wir sind nicht stark.»
Er klatschte laut einmal in die Hände, und seine Männer rückten eifrig herum wie Kinder, die einer oft erzählten Lieblingsgeschichte zuhören.
«Jetzt ist Modestii sehr stark!» sagte er mit einem rauhen Kichern. «Aber sie hat nicht vergessen, Sir Tarrant. Weit weg sie hört davon. Jetzt ist sie El Sayyide, die Prinzessin, und alle Dinge kommen an ihr Ohr. Sie erinnert sich, daß sie hat mein Salz gegessen. Und so kommt El Sayyide mit viel Geld, mit viel Gewehren für meine Leute – und mit Willii Garvin. Ha, der!»
Ein wildes Grinsen zog die bärtigen Lippen auseinander, und es gab viel Kopfschütteln und Gelächter bei den Männern. Abu-Tahir spreizte die Hände, machte eine Gebärde des Niederschmetterns und schnalzte mit den Lippen. «Hui! Sechs Wochen, und ganzer Krach ist aus, Sir Tarrant.» Er warf den Kopf zurück, brüllte plötzlich vor Lachen und stieß Modesty mit dem Ellbogen an.
«Du erinnerst Kassim, Modestii? In dem Wadi damals nachts? Sein Gesicht, gerade als du ihn tötest. Haben sehr darüber lachen gemußt! Oh-ho-ho-ho –!»
«Ja, er hat wirklich sehr überrascht dreingeschaut», sagte sie und fügte etwas auf arabisch hinzu. Die Araber kugelten sich und brüllten vor Heiterkeit.
«Aah –» Abu-Tahir schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel die Augen. Dann wurde er wieder ernst und legte eine Hand auf Modestys Arm. «Von da an aber du bist nicht mehr vergessen in Malaurak. Jetzt kommt Öl aus dem Sand, und ich bin sehr reich. Du wirst meine Diamanten sicher machen,
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