Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
sich.
Sie bog rechts ab und ging auf eine schwere Tür am Ende des Korridors zu.
Die Tür quietschte leise in den Angeln, als sie sie öffnete. Dahinter befand sich ein kleiner rechteckiger Vorraum, von dem eine weitere Tür wegführte. «Ein hübsches Zimmer», sagte Maya und fingerte in einer Tasche in ihrem Kleid nach einem Schlüssel, «und sie erwartet Sie.» Sie warf ihm einen warnenden Blick zu.
«Es ist bei der Blaise bloß eines zu beachten. Es ist nicht gestattet, die Fesseln abzunehmen.» Ihre Stimme senkte sich zu einem dramatischen Flüstern. «Sie ist
faul
, müssen Sie wissen.»
«Ich kenne die Anordnungen, Madame», sagte er ungeduldig.
«Dann ist’s gut. Toilette und Waschraum hinten, am Ende des Ganges, wenn Sie das brauchen. Um halb sieben wird geläutet, um sieben müssen alle Männer draußen sein.» Sie sperrte die Tür auf, stieß sie ein Stück auf und trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen.
«In Ordnung, Madame. Ich bin ja kein kleines Kind. Ich finde mich schon zurecht.»
Sie kicherte wieder, schlurfte in ihren Pantoffeln auf den Korridor hinaus und machte die Tür des Vorraumes zu. Wieder quietschte die Tür in ihren Angeln.
Willie machte einen tiefen zitternden Atemzug, dann ging er hinein und schlug die Tür hinter sich zu.
Der Raum war mittelgroß und fensterlos. Die alten Lehmziegelwände waren mit billigem, pompösem Stoff bespannt. An der einen Wand stand ein großes Diwanbett. Außerdem befanden sich noch ein abgenutzter Lehnstuhl und ein kleiner Holztisch da. Auf dem Tisch stand in einem emaillierten Becken ein großer Krug mit Wasser. Als Beleuchtung diente eine einzige Wandapplique mit einem rosafarbenen Lampenschirm. Modesty Blaise lag zur Seite gewendet auf dem Diwanbett. Ihre Arme waren oberhalb der Ellbogen mit einem dicken Lederriemen, der bloß fünfzehn Zentimeter lang war, auf dem Rücken aneinandergefesselt, so daß sie, obwohl die Hände frei waren, praktisch wehrlos war.
Sie trug ein dünnes, ärmelloses Kleid aus rotem Nylon, das nur durch drei Knöpfe an jeder Schulter zusammengehalten wurde. Man konnte es trotz der Lederriemen, die ihre Arme festhielten, ausziehen.
Darunter trug sie nichts. Sie sah sauber aus, als sei sie eben erst aus der Dusche gekommen. Das offene Haar war mit einem seidig glänzenden grünen Band zurückgebunden.
Die eine Seite ihres Gesichtes war gelb, dort, wo sie der stählerne Kettenhandschuh während des Kampfes mit den Zwillingen getroffen hatte. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Die eine Hälfte ihres Mundes war arg verschwollen von einem erst kürzlich erlittenen Schlag, und an einem Vorderzahn fehlte ein Eckchen.
Willie erinnerte sich an die Wunde an Zechis Fingerknöcheln, aber der Gedanke löste keine Reaktion in ihm aus. Sein Inneres war empfindungslos geworden, seine Nerven tot. Er konnte bloß daran denken, was jetzt getan werden mußte, denn sie hatte den Kopf geschüttelt und die geschwollenen Lippen warnend gekräuselt. Er nickte. Er verstand den Wink und stellte sich auf seine Arbeit ein wie ein programmierter Roboter.
«Also», sagte er heiser, «wach auf, du Biest.» Er knallte sein kleines Päckchen mit Toilettenartikeln auf den Tisch und ging durch das Zimmer. Behutsam half er ihr, sich aufzusetzen und stellte ihr die Füße auf den Boden. Dabei gab er einige höhnische Drohungen und Obszönitäten von sich.
Sie nickte zustimmend, ihr Blick war warm und aufmunternd. Sie kniete an dem Ende des Diwanbettes nieder und deutete ihm ängstlich mit dem Kopf.
Willie schlug sich mit der Hand fest auf den Unterarm und sagte böse: «So, das ist für den Anfang. Falls du nicht auf mich reagierst, Puppe, werde ich nachhelfen, indem ich deine Larve in eine Schüssel Wasser tauche.»
Auch er kniete nieder, hob das Diwanbett ein wenig und lugte darunter. Er wußte, was er suchte. In einer Ecke des hölzernen Rahmens war ein kleiner Metallzylinder von der Größe eines Fingerhutes festgemacht.
Ein Mikrofon.
Einige hundert Meter weiter weg saß Delgado in seinem eigenen kleinen Schlafzimmer und hielt den Kopfhörer eines Empfängers ans Ohr gepreßt. Seine blaugrünen Augen blickten gespannt und neugierig.
Die Geräusche aus dem Zimmer des
Seraglio
kamen schwach, aber klar durch. Es war seine Idee gewesen, Garvin auf diese Weise zu überwachen.
Seit dem Tag, an dem Modesty bei dem Versuch eine Depesche hinauszuschmuggeln, im Senderaum ertappt worden war, nagte ein leiser Zweifel an ihm. Er hatte sie morgens für eine
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