Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
daß sie diese Kreatur getötet hatte, und er war froh darüber gewesen. Und er war noch immer froh.
Aber jetzt sah er zum erstenmal jene Seite ihres Naturells, die derartige Dinge physisch möglich machten – die Dynamik ihres Willens und die Totalität ihrer Konzentration. Einen Augenblick lang versuchte er, sich jene Modesty Blaise zurückzurufen, die Lucille in den Zoo geschickt hatte; die mit Willies verrücktem Major geblödelt und mit geschlossenen Augen einen Ball ins Loch zu bringen versucht hatte; die mit ihm in Ascot promeniert war und deren plötzliches Lächeln einem das Herz erwärmen konnte. Aber dieses Bild wollte keine Gestalt annehmen.
Willie Garvin beobachtete sie wie ein Luchs. Die blauen Augen in seinem leidenschaftslosen, ledernen Gesicht waren völlig unbeweglich.
Tarrant wußte, welche Kraft in diesem Körper wohnte. Einer seiner Männer, und zwar einer, der sich durch nichts beeindrucken ließ, hatte zugegeben, daß er niemanden kenne, der im Kampf schneller sei als Willie Garvin.
Plötzlich wurden die Bewegungen hastiger. Eine Finte, ein seitlicher Tritt von Modestys dickbesohltem Fuß – ein Tritt, im letzten Augenblick gestoppt, weil die Gegenbewegung bereits eingeleitet war.
Für volle zwei Minuten fanden sie keinen richtigen Kontakt. Ein Dutzend Bewegungen wurden begonnen, aber nicht zu Ende geführt.
Entsetzt begriff Tarrant, daß dies ein Kampf war, der zu dem tödlichen Höhepunkt eines Fecht- oder Messerkampfes gelangt war und der, einmal begonnen, bis zur Entscheidung durchgefochten werden mußte. Das einleitende Abtasten, die Fußarbeit und die Finten, das war bloß der Anfang gewesen. Es würde der Augenblick der Entscheidung, der wirkliche Angriff kommen, und dann war der Schlag entweder tödlich oder die Gegenattacke würde rücksichtslos jenen Körperteil oder jenes Glied treffen, das gerade exponiert war.
Tarrants Augen schmerzten, so sehr strengte er sich an, ein Blinzeln zu vermeiden. Er sah Willie seitwärts ausweichen, abrupt die Richtung ändern – und das war der Augenblick. Mit der Linken hatte er ihre Kongohand zur Seite geschleudert und mit der Rechten gegen ihre Schulter gezielt.
Sie drehte sich blitzschnell herum und ging nun seitwärts auf ihn zu. Tarrant hörte das Klatschen von Fleisch auf Fleisch und sah, daß ihr linker Unterarm den Schlag blockiert hatte – und zwar nicht an der gefährlichen Handkante, sondern an der Innenseite von Willies Gelenk.
Ihr rechter Arm streckte sich und schlug zu wie eine Peitsche. Tarrant konnte den Schlag weder hören noch genau verfolgen, er war nicht hart gewesen. Sie hatte ihm einmal erzählt, daß der Kongo, richtig angewendet, wie eine bleierne Faust wirkte.
Willie sprang katzenartig zurück, aber sein linker Arm hing kraftlos herab. Mühsam bewegte er die Finger, um wieder Leben in die Nerven zu bringen. Modesty machte einen raschen Ausfall. Willie, der zurückwich, drehte ihr zuerst die Seite mit dem unverletzten Arm zu und dann – zu Tarrants lähmender Überraschung – drehte er sich so weit, daß er ihr den Rücken zukehrte. Aber noch im Drehen ließ er sich plötzlich in die Knie fallen, so daß sie hinter ihm und ein wenig zu nahe war, als sie mit dem Kongo zuschlug. Der Schlag ging um Haaresbreite daneben.
Ihr Handgelenk streifte sein Gesicht und schlug auf seiner Schulter auf.
Nun schnellte sein linker Arm, im Ellbogen abgewinkelt, zurück, während die Hand noch immer halbgelähmt herabhing, und traf sie mit der Spitze des Ellbogens hoch am Nacken, ein wenig unter dem Ohr.
Sie wurde beiseite geschleudert, teils durch den Schlag, teils infolge ihres Bemühens, dem Schlag auszuweichen. In dem Moment, da sie auf der Matte aufschlug, schien es, als hätte sie keine Knochen im Leib.
Sie rollte sich rasch von ihm weg und sprang hoch.
Tarrant spürte ein stechendes Ziehen in seinen Lungen und merkte erst jetzt, daß er vergessen hatte, zu atmen. Er zwang sein Zwerchfell, wieder zu arbeiten, und seinen Lippen entrang sich ein zitternder Atemstoß.
Wieder standen sie einander gegenüber, beide ein wenig geduckt, sprungbereit wie zuvor – nur Willies linker Arm hing noch immer kraftlos herab, und in dem Blick, den er jetzt auf ihr ruhen ließ, lag eine neue, fast ängstlich besorgte Wachsamkeit.
Er ließ die Arme sinken und trat zurück. «Hören wir auf, Prinzessin», sagte er freundlich.
Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Sie umtänzelte ihn noch immer, schwebte auf den Fußballen und kam
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