Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
das Wachs herausgedrückt hatte, das ihm Dr.
Georges Brissot injiziert hatte. Ein Gerinnungsmittel hatte den kleinen Schnitt versiegelt, und in ein oder zwei Tagen würde er abgeheilt sein.
Es war zehn Minuten vor Mitternacht. Ein paar Handgriffe noch, dann würde er wieder ganz er selbst sein. Willie hatte fünf Stunden lang im Fond von Modestys grauem Citroën verborgen gelegen, bis sie die kleine, an einen Antiquitätenladen anschließende Wohnung am Stadtrand von Paris erreicht hatten. Der Wagen, den Willie als Ransome benutzt hatte, lag jetzt irgendwo, am Straßenrand, etwa sieben Kilometer vom Museum entfernt.
Er rührte in der schwarzen Brühe, die er aus seinem Haar gewaschen hatte und die nun im Ausguß abfloß.
Jetzt kam der Augenblick, den er bis zuletzt hinausgeschoben hatte. Er nahm einen kleinen Stift mit einer Schraubkappe an dem einen Ende, beugte sich ganz nahe an den Spiegel und zog sachte die braunen Kontaktlinsen ab, die die blaue Iris seiner Augen bedeckten.
Es mochte Leute geben, die sich an das Einsetzen und Herausnehmen dieser verdammten Dinger gewöhnten; er gehörte nicht dazu, ihm war es verhaßt. Er legte die Linsen in ein gefüttertes Etui, dann nahm er die große Zigarettendose aus Bronze zur Hand.
Es war das die Dose, die er auf den Schreibtisch des Direktors gelegt hatte. Der Hauptbestandteil der Dose war eine Ein-Watt-Batterie, die einen mit Transistor ausgestatteten Oszillator betrieb. Der Oszillator hatte auf einer Frequenz, die jener des Fernsehgeräts im Büro des Direktors sehr nahe lag, über einen Multivibrator Impulse ausgesendet und so den Empfang gestört.
Bloß vier Zigaretten hatten in der Dose Platz. Eine war übriggeblieben. Er nahm sie heraus, zündete sie an.
Mit einem Kamm fuhr er sich durch das nasse Haar und ging in das angrenzende Zimmer. Modesty, mit einer weichen, feuchten Bürste in den behandschuhten Händen, bearbeitete das Gemälde.
Nur noch wenige Quadratzentimeter waren mit dem cremefarbigen Belag bedeckt und mußten entfernt werden.
Sie sah auf und lächelte: «So ist’s schon besser, Liebling. Die Pulverbrandnarben sahen ja ziemlich dramatisch aus, aber die Nase gefiel mir ganz und gar nicht.»
«Sie war auch nicht gerade nach meinem Geschmack», gab Willie zu. «Wie sieht das Bild aus?»
«Sehr gut. Die Masse, die du da gebraut hast, geht herrlich ab. Hinterläßt nicht die geringste Spur.» Sie bürstete sorgfältig weiter und unterbrach nur ab und zu, um die Bürste in einer Schale mit Wasser zu säubern.
Willie saß rauchend da und sah ihr zu.
«Es war prima, daß wir Gelegenheit hatten, die Sache auszuprobieren», meinte er nach einer Weile.
«Theoretisch etwas auszukochen ist ja ganz nett, aber richtigen Spaß hat man ja doch erst daran, wenn man es in der Praxis anwenden kann.»
«Ja. Und es war gut, daß wir ausgerechnet das hier parat hatten; eine gute Sache.» Sie blickte auf. «Eine deiner besten, Willie.»
«Meine? Die Idee war von dir, Prinzessin.»
«Das ist der leichtere Teil der Aufgabe. Du hast sie verwirklicht.» Sie wischte mit einem feuchten Lappen die letzten Reste ab. «Nun laß uns einmal sehen, was wir hier haben.»
Willie zog nun ebenfalls Handschuhe an, nahm das Bild und stellte es gegen die Wand gelehnt auf den Tisch. Sie traten beide zurück.
Fête dans les Bois
zeigte elegante Damen und Herren aus der prunkhaften Zeit des 18. Jahrhunderts bei einem Picknick auf einer Waldlichtung.
«Male ein Bild wie dieses heutzutage», sagte Willie, «und die einzige Möglichkeit, es zu zeigen, wäre auf einer Bonbonschachtel.»
«Gefällt es dir nicht?»
«Ich finde es großartig. Ich will damit nur sagen, daß Sujet und Stil des Gemäldes heute nicht mehr gefragt sind. Aber der Knabe konnte wirklich malen. Schau dir doch einmal diese Farben an, Prinzessin, und die Pinselführung.»
«Ja.» Sie standen eine ganze Weile in den Anblick des Gemäldes versunken da. Dann sagte sie langsam:
«Das Ganze wirkt wie … es wirkt …» Sie zuckte die Achseln. «Ich weiß nicht.»
«Perlmuttartig», sagte Willie, und sie lachte. Er überraschte einen doch immer wieder mit einem zutreffenden Wort.
«Du scheinst wieder einmal gescheite Bücher gelesen zu haben», meinte sie, «aber du hast recht. Es schimmert wie Perlmutt.»
«Ich bilde mich ungeheuer, wenn ich die Musikkritiken in den Zeitungen lese», grinste Willie. «Sie erschlagen mich einfach.»
«Wieso das?»
Willie schloß die Augen, konzentrierte sich einen Moment
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