Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
«Warte.» Seine Stimme war tonlos.
Sie drehte sich um. An der Wohnzimmertür trafen sie zusammen.
Schweigend hielt er ihr die Zeitung hin. Sie warf zuerst einen kurzen Blick auf ihn, dann nahm sie die Zeitung. Es war die
L’Aurore
. Mit Riesenlettern verkündete sie auf der Titelseite: «Der Watteau wiedergefunden.» Modesty stand regungslos, während ihre Augen über die ersten fettgedruckten Absätze flogen. Mike sagte: «Die verdammte Kiste fiel von dem Lastwagen herunter und brach auf. Es waren große Statuetten darinnen. Einige wurden zertrümmert, und in einer von ihnen steckte der Watteau.»
Er beobachtete sie, wie sie weiterlas. Ihre Wangen behielten zwar die Farbe, aber ihr Gesicht hätte aus Marmor gehauen sein können.
Schließlich gab sie ihm die Zeitung zurück, wandte sich ab und ging ins Schlafzimmer. Er folgte ihr und machte die Tür hinter sich zu. Sie saß auf dem Bett, die Hände in den Taschen ihres Morgenrocks, und blickte durch das Fenster, dessen Laden nun weit offenstanden, hinaus.
«Kann man feststellen, woher die Kiste kam, beziehungsweise wohin sie ging?»
«Woher sie kam nicht, und wohin sie gehen sollte, jetzt auch nicht mehr. Wenn die Presse nicht dazugekommen wäre und mich alarmiert hätte, hätten sie die Kiste weiterbefördert und dann denjenigen hoppgenommen, der sie abholen wollte. Ich müßte eigentlich froh sein.»
Er zündete eine Zigarette an und gab sie ihr. Einen Moment zuvor war ihr Blick ausdruckslos gewesen, jetzt war er konzentriert. «Froh», wiederholte er weich.
«Mein Gott. Das finde ich leicht übertrieben.»
«Ich beging einen Fehler.» Die Wut in ihrer Stimme war gegen sie selbst gerichtet. «Ich hätte das Zeug niemals abschicken dürfen.»
«Es war aber der beste Weg.»
«Nein.» Sie drehte sich herum und sah ihn an. «Es war der sicherste Weg, aber nicht der beste. Ich hätte es mit Willie selbst herausbringen müssen. Früher hätte ich das getan. Aber ich lasse nach. Ich machte es mir etwas zu leicht.»
«Zu leicht?»
«Ja.» Sie erhob sich, umfaßte die Ellbogen mit den Händen und begann auf und ab zu wandern. Die Zigarette zwischen ihren Fingern zitterte nicht. «Ich muß erst einmal wieder in Form kommen, bevor ich etwas Neues versuche.»
«Etwas Neues?»
«Was denn sonst?» Sie blickte ihn an. «Aber zuerst muß ich in Kondition sein, ehe ich wieder etwas Großes beginne. Ich muß einige Schläge einstecken und mich abhärten. So wie ich es gewohnt war.»
«Was willst du also tun?»
«Ich weiß nicht genau.» Sie hörte auf, herumzugehen, und blieb vor ihm stehen. «Es wäre mir egal, was es wäre, vorausgesetzt, es ist schwierig und es fällt ein bißchen dabei für mich ab.» Sie zuckte die Achseln und lachte kurz auf. «Ach, mach dir keine Sorgen, Mike. Ich weiß, du bist ein Einzelgänger, und ich verlange nicht, daß du mich in etwas einsteigen läßt, was du vorhast.»
«Ich habe im Augenblick auch nichts in Aussicht.»
«Das mag sein. Aber du hast deine Ohren überall. Ich habe etwas den Kontakt verloren. Weißt du nichts, das mich interessieren könnte?»
«Du würdest für jemanden arbeiten?»
«Eine Zeitlang wohl, wenn es sein muß.»
Er stand eine Minute lang gedankenversunken da, dann schüttelte er den Kopf. «An mich werden immer wieder Gerüchte herangetragen, aber man kann selten sagen, ob wirklich etwas dahintersteckt.»
«Falls du auf etwas Greifbares stößt und glaubst, daß es mir passen könnte, dann laß es mich wissen.» Sie trat ans Fenster, starrte hinaus und rauchte nachdenklich.
«Und was hast du vor, jetzt zu tun?»
«Heute?»
«Ja.»
«Ich werde Willie anrufen, um zu sehen, ob er die Zeitungen schon gelesen hat. Und dann möchte ich allein bleiben.» Sie machte eine Pause und fügte langsam hinzu: «Wir feierten zu früh, Mike. Das ist jetzt vorbei.»
«Du möchtest, daß ich ausziehe?»
«Es tut mir leid – ja.»
«Kann ich dir nicht irgendwie helfen?»
Sie lächelte ihn an. Etwas von der Spannung war bereits von ihr gewichen. «Du bietest mir doch wohl keine milde Gabe an?»
Er lächelte ohne Entschuldigung zurück. «Nein. Das würde keinem von uns passen, Liebling.»
«Na also. Wie willst du mir also dann helfen?»
«Nur, was du eben selbst sagtest. Wenn ich etwas höre, von dem ich glaube, daß es dich interessieren könnte, dann lasse ich es dich wissen. Wo erreiche ich dich?»
«Ich werde zwei Tage länger als geplant hier bleiben. Dann fahre ich nach Tanger.»
«Mit Willie
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