Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
auffallen, wenn sie in der Nähe sind. Was hältst du von einer kleinen Segelpartie von Estoril bis zum Blick auf die Boca do Inferno?»
«Wunderbar. Ich mache uns nachher in der Villa etwas zu essen.»
«Ich treffe dich also im Hafen von Estoril. Gegen sieben?»
«Gegen sieben.»
Am Nachmittag hatte sie schwarz-weiß karierte Shorts und eine Strandbluse über ihren mitternachtsblauen einteiligen Badeanzug angezogen und war zum Strand hinuntergegangen, um eine Stunde zu schwimmen und in der Sonne zu liegen. Mit geschlossenen Augen genoß sie die Wärme der Sonnenstrahlen, die ihren Körper umfingen, und dachte an Willie Garvin.
Sie freute sich auf die gemeinsame Segelpartie heute abend. Mit Willie zusammen zu sein, war immer gut.
Sie dachte an jenen Tag vor vielen Jahren, an dem sie Willie aus einem Gefängnis in Saigon losgekauft hatte. Ein harter, muskulöser und gefährlicher Mann war er damals gewesen, scheinbar ohne Spur von Menschlichkeit. Ein Mann mit einem stumpfen und trüben Geist, beherrscht von Rachegefühlen und Mißtrauen.
Sie hatte ihn eine Woche zuvor in einer offenen Arena in einem schrecklichen Zweikampf im Thai-Stil kämpfen gesehen. Die Orientalische Boxföderation versuchte damals, diese grausame Form des Kampfes in Vietnam einzuführen. Sie hatte seine Schnelligkeit und Kraft bewundert, aber das allein hätte sie nicht bewegen, ihn für das ‹Netz› zu kaufen. Der Augenblick, kurz nachdem er seinen Gegner k. o. geschlagen hatte, kam ihr in den Sinn …
Während er dastand, an seinem zerfetzten Hemd zerrte und zum Ausgang der Freiluftarena spähte, erhaschte sie etwas von seinem Blick. Es lag unendliche Müdigkeit und graue Verzweiflung darin.
Sie folgte seinem Blick und bemerkte die beiden Polizisten, die den Mittelgang herabkamen. Als sie ihn wieder ansah, waren die Bitterkeit und der Haß in seine Augen zurückgekehrt.
Sie sah die beiden Polizisten vor ihm stehenbleiben und kurz mit ihm sprechen. Er leistete keinen Widerstand, während sie ihn abführten. Als er an ihrem Platz vorbeikam, trafen sich ihre Blicke. Irgend etwas in ihrer Miene mußte ihn berührt haben, denn augenblicklich schwand der düstere Groll aus seinen Zügen. Er zog die mächtigen Schultern ein, und sie sah ein Aufblitzen von belustigter Resignation in seinen Augen. Dann war er fort.
Sie erinnerte sich, damals unsicher gewesen zu sein, ob sie ihn mit Hilfe von Bestechung aus den Schwierigkeiten herausholen oder ihn vergessen sollte. Aber die beiden kurzen Blicke, die sie von ihm aufgeschnappt hatte, die sie erkennen ließen, daß noch ein zweites, anderes Wesen in diesem Mann steckte, gaben schließlich den Ausschlag. Sie kaufte ihn los und nahm ihn mit sich nach Tanger. Es dauerte keine sechs Wochen, und den alten Willie Garvin gab es nicht mehr.
Sie wußte, und hatte es eigentlich von allem Anfang an gewußt, daß der neue Willie Garvin ihr in mancher Hinsicht geistig überlegen war. Er war ungeheuer vielseitig, und alles, was er leistete, hatte Format. Er lernte mühelos und behielt das, was er sah und hörte, nahezu lückenlos in seinem Gedächtnis. Der neue Willie Garvin trug den Kopf hoch und entwickelte sich zu einem glücklichen und selbstsicheren Menschen. Sie wußte, daß sie der Katalysator gewesen war, der ihn verwandelt hatte, und anfangs bereitete es ihr Sorge, zu sehen, daß er nur mit ihr und durch sie lebte, als wäre sie die Quelle all seines Seins.
Dieses Gefühl der Verantwortung für ihn hatte sie nie ganz verlassen, aber im Laufe der Jahre war sie von ihm fast ebenso abhängig geworden wie er von ihr. Sie hatten gemeinsam gekämpft, geblutet und gesiegt. Sie hatten einander in schlechten Zeiten unterstützt und einander nachher die Wunden gepflegt. Und sie hatte zum erstenmal in ihrem Leben einen Menschen, bei dem sie es wagen konnte, sich anzulehnen; das war für Modesty Blaise ein Geschenk, das nicht mit Gold aufzuwiegen war. An anderen Männern fand sie auf andere Art Gefallen; das waren erregende Beziehungen, ausgefüllt mit der Lust, der körperlichen Hingabe, aber stets nur von kurzer Dauer, denn letzten Endes konnte sie doch nur sich selbst gehören. Alle diese Männer bedeuteten ihr im Vergleich zu Willie Garvin nichts.
Ja, sie freute sich darauf, heute abend mit ihm beisammen zu sein.
Ungestört würden sie sich im Segelboot entspannen und miteinander reden können – nicht über ihren gegenwärtigen Job; darüber gab es nichts mehr zu sagen.
Da konnten sie nur noch
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