Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
Whitehall hinunter. «Ich mache mir darüber Sorgen, wie wir mit ihr in Verbindung bleiben. Wir vereinbarten, daß sie uns davon benachrichtigt, sobald eine Annäherung erfolgt ist. Wir würden dann einen Weg finden müssen, um ihr auf der Spur zu bleiben. Aber was dann, wenn es nicht so funktionierte? Wir vereinbarten nicht, wie wir im Notfall in Verbindung bleiben könnten.»
«Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie darauf erpicht ist», wandte Fraser zweifelnd ein, «aber Sie können sie ja in ihrer Wohnung in Tanger anrufen und mit ihr etwas ausmachen.»
«Nein.» Tarrant schüttelte den Kopf. «Ich will, daß Sie hinfahren, Jack.»
«Ich?» Fraser war überrascht, aber sein Ton ließ erkennen, daß ihn die Sache reizte. «Dazu müßte ich versetzt werden.»
«Sie würden nicht offiziell gehen.» Tarrant wandte sich vom Fenster ab. «Es ist ja die ganze Sache nicht offiziell. Sie nehmen ab morgen drei Wochen Urlaub und tun, was Ihnen Spaß macht.»
Fraser erhob sich und drückte seine Zigarette in dem großen Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus. Seine Bewegungen waren von einer plötzlichen Lebhaftigkeit. «Ich habe die letzten fünf Jahre hinter dem Schreibtisch zugebracht.»
«Haben Sie das Gefühl, als hätten Sie während dieser Zeit nachgelassen?»
Fraser überlegte gewissenhaft, dann sagte er: «Nein. Oder sind Sie der Ansicht?»
«Das ist etwas, das nur Sie allein beurteilen können. Ich gebe Ihnen keinen Befehl, verstehen Sie, aber ich könnte mir niemanden vorstellen, der diese Arbeit besser machen könnte oder auch bloß halb so gut.»
Fraser nickte. Er war, ohne eitel zu sein, der gleichen Meinung. Ein schwaches Grinsen zog über sein mageres Gesicht. «Modesty Blaise wird es Ihnen nicht danken, daß Sie mich eingesetzt haben.»
«Das ist mir klar.» Tarrants Stimme klang trocken. «Und sie wird ihre Ansicht darüber unmißverständlich zum Ausdruck bringen. Die beste Taktik ist die, Jack, zu allem ja zu sagen, oder noch besser, die Einwände gleich vorwegzunehmen. Beklagen Sie sich mit müder Resignation über mich, der Ihnen derart blödsinnige Aufträge gibt.»
«Wozu soll das gut sein?»
«Sie wird Sie auffordern, die Klappe zu halten, und mit Ihnen zusammenarbeiten.» Tarrant lächelte. «Sie ist zu ihren Freunden bemerkenswert loyal.»
Liebmann hielt eine Stoppuhr in der Hand und blickte über die Landebahn hinweg zum Nordende des Tales.
Siebenunddreißig Männer brausten auf kleinen, schweren Rollern über die flache Talsohle. Sie trugen Stahlhelme nach amerikanischer Art und leichte Brust- und Rückenpanzer aus Plastik. Unter ihren Uniformen deckten ähnliche Schutzplatten den Bauch und die Lenden. Diese Panzerung würde einem direkten Treffer nicht standhalten, aber sie verhütete kleinere Unfälle und verlieh ein Gefühl der Sicherheit, das sich günstig auf die Moral auswirkte.
Jeder der Männer war mit einem luftgekühlten AR15-Maschinengewehr, halb- oder vollautomatisch, und mit Magazinen ausgerüstet.
Auf dem Roller war außerdem ein rückstoßfreies 40-mm-Geschütz montiert und einige Munitionskästen.
Als die Phalanx das andere Ende des Tales erreicht hatte, drückte Liebmann auf die Stoppuhr. Er wandte sich zu dem riesigen Modell von Kuwait, das eine Fläche von zehn Ar bedeckte. Die Zwillinge standen in der Nähe des Hafenviertels.
«Eine Minute, sechsundvierzig Sekunden», sagte er mit seiner hohen, kalten Stimme.
Lok machte eine Notiz auf seinem Schreibblock.
Während er umblätterte, entfiel der Bleistift seinen Fingern. Chu schielte ihn von der Seite an und zischte:
«Idiot.»
Haß flammte in Loks Augen auf. Er gab keine Antwort, machte jedoch Anstalten, sich zu bücken. Chu blieb unbeweglich stehen, und die flexible Lederspange, die sie an den Schultern verband, spannte und verdrehte sich. Lok hob die Hand, als wolle er den Bruder ins Gesicht schlagen. Aber er führte den Schlag nicht aus. Keiner von ihnen ging jemals so weit, denn hinter all dem siedenden Haß stand die furchtbare Erkenntnis, daß ein Kampf zwischen ihnen, einmal begonnen, den Tod des einen oder andern bedeuten würde. Und Tod für den einen hieß kreischenden Wahnsinn für den Überlebenden.
Liebmann sah Chu an und sagte:«Lok, notiere, daß Hamids Abteilung ihre Zeit um acht Sekunden verbessern muß.»
Wieder bückte sich Lok nach dem Bleistift, und Chu bückte sich diesmal mit ihm.
In den ersten Tagen hier hatte sich Liebmann oft gefragt, ob es richtig war, daß Karz die Zwillinge
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