Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
ich habe eine Idee.»
Sie begriff plötzlich, was er im Sinn hatte, unterdrückte aber ihr Lachen, denn sie wußte, es machte ihm Spaß, sie zu überraschen. «Gut so, Willie.» Sie nahm eine der Pistolen an sich. «Geh und schau dich um.»
Die Kutsche knarrte und rumpelte langsam des Weges.
Seit sie sich auf der Chaussee befand, ging es etwas glatter. Die Sonne war schon lange untergegangen, und die Kutsche rollte nun schon fast zwei Stunden dahin, seit sie ihre Reise von der staubigen Auffahrt zur Villa begonnen hatte.
Auf dem Kutschbock saß Gerace. Sein bandagierter Arm war unter einem kunstvoll drapierten Regenmantel verborgen. Emilio und Ugo waren die Leitpferde, und die anderen vier Männer stapften hinter ihnen; sie waren paarweise mit einem starken Seil, das sie um die Mitte gebunden hatten, an die Deichsel gespannt. Mit Blasen an den Händen und schmerzenden Schultern legten sie sich in die straffen Seile, während sie sich die letzte Steigung vor Cascais hinaufkämpften.
Sie hatten schon lange zu denken aufgehört. Keuchend und schwitzend, mit vor Anstrengung offenem Mund trotteten sie weiter, in jener seltsamen Abgestumpftheit, zu der die Erschöpfung führen kann.
Was sich in der ersten halben Stunde ihrer Reise zugetragen hatte, das hätte aus einem Groteskfilm stammen können. Dreimal hatte Gerace die Bremse zu spät angezogen, und die Kutsche war in das Menschengespann hineingerollt. Wüste Schimpfworte waren die Antwort darauf gewesen. Theorien über die Gesetze der Bewegung, der Beschleunigung, der Kinetik und der Erhaltung der Energie waren in laienhaften Ausdrücken geäußert und bitter diskutiert worden. Als Gerace, der gestrandete Anführer, versucht hatte, sein Team zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschweißen, wurde er eingeladen, an sich selbst Sittlichkeitsvergehen auszuführen, von denen sich sogar die Bildhauer des alten Pompeji nichts hätten träumen lassen.
Aber nun war die Flamme der Rebellion zu kalter Asche erstorben.
Durch Schaden klug geworden, arbeitete das Team jetzt nach einem System zusammen, das die kleinsten Übel zu enthalten schien. Die Hoffnung, diesem Albtraum auf die eine oder andere Weise entfliehen zu können, war längst begraben.
Nun kam es nur noch darauf an, daß der Zug in den Seilen möglichst gleichmäßig blieb, daß einem der Idiot von Hintermann nicht auf die Fersen trat, daß der Affe vor einem die Richtung aus eigenem beibehielt und daß schließlich der Clown auf dem Kutschbock beim Abwärtsfahren ordentlich, aber nicht zu stark, bremste.
Etwaige neugierige Zuschauer würden sich hoffentlich mit einer kurzen Antwort Ugos, der ein bißchen Portugiesisch sprach, zufriedengeben und sich damit abfinden, daß es sich hier um eine Wette für wohltätige Zwecke handelte.
Modesty Blaise schlief, den Kopf an Willies Schulter gelehnt. Das Rumpeln der Kutsche störte sie nicht. Sie hatte ihr halbes Leben lang die Bequemlichkeit eines Bettes nicht gekannt, und wenn sie wollte, konnte sie unter allen Bedingungen schlafen. Willie Garvin saß in die Ecke der Kutsche gelehnt und beobachtete Geraces Rücken und die Köpfe des Menschengespanns darunter. Neben ihm lag eine Pistole, und vor ihm in dem Sitz stak das Wurfmesser, so daß es seine herabbaumelnde Hand sofort erreichen konnte.
«Ich bin kein guter Schütze», hatte er die Leute am Beginn der Fahrt freundlich gewarnt. «Wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt, werde ich zuerst Gerace mit dem Messer bedienen, und dann will ich mein Bestes mit der Pistole versuchen. Hoffen wir also, daß ich den, der aus der Reihe tanzt, treffe und nicht einen andern, eh?»
Es hatte keine Schwierigkeiten gegeben.
Willie sog die warme Nachtluft ein. Er war richtig zufrieden. Das war die Zeit, die er stets genoß – dieses Nachher, diesen Frieden, wenn die Nerven entspannt waren wie schlafende Athleten, die Sinne aber noch wachten und die Welt herrlich klar vor einem lag.
Oft hatte es solche Stunden gegeben, seit Modesty Blaise in sein Leben getreten war und die Welt für ihn neu geschaffen hatte. Die Aktion von gestern nacht war kurz gewesen, und so wie die Dinge sich entwickelt hatten, war ihnen nicht viel abverlangt worden. Sie hatten weit schwierigere Situationen durchzustehen gehabt, lange, harte Kämpfe, bei denen es Verletzungen, Schmerz und Wunden, die gepflegt werden mußten, gegeben hatte. Aber das Nachher, der Frieden und die Befriedigung waren immer gleich köstlich. Er dachte an den Mann, den er vor
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