Modesty Blaise 02: Die Lady bittet ins Jenseits
ein Ausgestoßener wurde. Nach ihr war er noch immer der erste. Das wollte sie ihnen jetzt zeigen.
Sie drehte sich in der Tür um und stand den Männern gegenüber. Sie mußte ihre Stimme bloß ein wenig heben, um sich Gehör zu verschaffen, denn es war sehr still. «Alle, die nicht zu meiner Abteilung gehören, verschwinden jetzt!» befahl sie kurz.
Einige Männer setzten sich zögernd in Bewegung und begannen schließlich auseinanderzugehen.
Sie sagte: «Du kennst die Leute, Brunig. Sieh zu, daß die andern verschwinden. Ich will, daß wir unter uns sind.»
Unter uns, dachte Delgado. Nicht schlecht. Sie hatte es also geschafft. Er sah zu Liebmann hinüber, der am Kühler des Jeeps lehnte, und sagte sehr leise: «Nun?»
Liebmann wandte den Kopf. In seinem ausdruckslosen Blick war plötzlich eine Spur von Interesse. Er nickte kaum merklich.
Brunig humpelte durch die Menge, gab hier und dort ein kurzes Kommando und wartete, bis die Männer weggingen. Zuletzt sah er Modesty an. «Fertig. Wir sind jetzt unter uns –» Er brach ab, unsicher, wie er sie ansprechen sollte.
«Ihr nennt mich Blaise.» Sie machte eine Pause. «In vierundzwanzig Stunden weiß ich hier Bescheid, dann können wir mit der Arbeit beginnen. Im Augenblick möchte ich bloß eines wissen, nämlich ob ihr mit den Bedingungen hier zufrieden seid.» Sie hatte ihre Stimme kaum merklich gesenkt und sprach jetzt mit leicht amerikanischem Akzent.
Liebmann erstarrte bei ihren letzten Worten. Lange herrschte Schweigen, dann sagte ein Mann in weichem amerikanischem Tonfall: «Wenn sich hier einer beschwert, dann bezeichnet man ihn sofort als
faul
.»
«Ich wäre ein verdammt fauler Kommandeur, wenn ich nicht dafür sorgte, daß ihr unter ordentlichen Bedingungen hier arbeitet. Also, heraus mit der Sprache.»
«Alkohol», rief einer mit schottischem Akzent.
«Wie groß ist die Ration?»
«Eine Flasche pro Mann in der Woche. Ich könnte eine am Tag vertragen.»
«Vergiß es. Eine Flasche ist genug. Ich möchte nichts mehr darüber hören.» Sie blickte in die Runde.
«Was noch?»
«Wacheschieben an der Piste. Küchen- und Latrinendienst.» Das war wieder der Amerikaner. «Wir machen zweimal so viel Dienst wie die anderen Abteilungen.» Modesty sah Liebmann geradewegs an und fragte:
«Warum?»
Es vergingen ein oder zwei Augenblicke, ehe er antwortete.
Delgado belustigte es, daß es ihr gelungen war, Liebmann aus dem Gleichgewicht zu bringen.
«Die Abteilung war bis jetzt nicht komplett und bloß zu einem allgemeinen Training eingeteilt», erwiderte Liebmann kalt. «Daher mußte sie natürlich eine Reihe von Routinearbeiten übernehmen.»
«Nun sind wir komplett. Wer teilt die Routinearbeiten ein?»
«Ich. Sie können sich bei mir beschweren.»
«Das ist hiermit geschehen. Wenn binnen vierundzwanzig Stunden keine Änderung erfolgt, gehe ich zu Karz.»
«Das wäre unklug.»
«Kann sein. Kann aber auch unklug sein, meiner Abteilung die Zeit für das Training zu verkürzen. Wir werden Karz darüber entscheiden lassen.»
Zum erstenmal sah Delgado Liebmann lächeln. Sein Gesicht nahm dabei ein totenkopfähnliches Aussehen an. Eine seltene Gemütsbewegung hatte Liebmann heimgesucht. Es konnte Wut oder Angst oder auch ein Gemisch von beiden sein. Und auch Freude lag darin, weil er sich plötzlich überhaupt eines Gefühls fähig fand, ein Anschlagen emotioneller Saiten. «Die Angelegenheit wird erledigt werden», erklärte er und stieg in den Jeep. Die Männer der Abteilung R nahmen seine Abfahrt gar nicht zur Kenntnis. Sie waren ganz damit beschäftigt, ihren neuen Kommandeur zu studieren.
Modesty sah dem Jeep nach. Plötzlich lächelte sie verächtlich und sagte: «Nun, diesen Bastard haben wir ein wenig durcheinandergebracht.»
Gelächter und beifälliges Gemurmel war die Antwort. Sie blickte in die Runde. Sie hatte sich Respekt verschafft, und die Leute würden ihr, soweit sie dazu überhaupt fähig waren, fortan ergeben sein. Aber dieses Bindeglied war zart und konnte leicht zerbrechen. Diese Burschen waren Halsabschneider, und jeder einzelne von ihnen eine egoistische Kreatur, für die Gut oder Böse einzig und allein in dem Sinne galt, ob es für ihn persönlich gut oder böse war.
Sie empfand nichts für sie. Wenn sie die Zügel locker ließ, würden sie über sie herfallen wie die Löwen über den gestürzten Dompteur.
Bei dieser ersten entscheidenden Konfrontation war es ihr jedenfalls gelungen, die Oberhand zu gewinnen und ein
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