Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
warf noch einmal einen Blick auf das Bild des riesigen Gesichts. «Vielleicht hausierte er auch nur mit Lexika. Diese Leute erfinden heute jeden Vorwand, um den Fuß zwischen die Tür zu setzen, ob bei Tag oder bei Nacht. Meine Schwester hat sich einen Satz Lexika für ihren dreizehnjährigen Malcolm aufschwätzen lassen. Dabei ist der kaum über das Buchstabieren hinaus. Großer Kerl, nicht?»
«Wer – Malcolm?»
«Nein, der ist noch ein kleiner Kerl. Ich meine diesen Berg von einem Mann hier.»
«Ja, der ist wirklich groß. Riesengroß.»
«Was meinen Sie – ist Aaronson die Treppe hinuntergefallen und hat sich dabei das Genick gebrochen, oder hat der hier das für ihn besorgt?»
«Unsere Kollegen von der Polizei haben es als Unfalltod deklariert.» Tarrant trat ans Fenster und schaute auf Whitehall hinunter. «Frobisher ließ mich das Phantombild anfertigen und sagte, er würde versuchen, den Burschen ausfindig zu machen, aber ich glaube nicht, daß er sehr interessiert war.»
«Und was nun?»
«Das ist es ja, warum mir das alles nicht sonderlich gefällt. Ich muß mich entscheiden, ob ich Modesty bitte, bei den Ausgrabungen in Mus einmal nachzuschauen, wenn sie von Panama zurückkommt.»
«Sie sagte doch, sie würde es tun.»
«Ich weiß.» Gereiztheit schlich sich in Tarrants Stimme ein. «Ich weiß nicht, ob ich den Gedanken nicht fallenlassen soll. Das ist mir schon früher passiert – hab sie gefragt, ob sie sich um etwas Harmloses kümmern könnte, und dann hat sich das nachher als verdammt heiße Sache herausgestellt.»
«Sie hat sich nie beklagt.» Fraser legte seine Füße auf den Schreibtisch und wippte in seinem Stuhl zurück.
«Ich verstehe nicht, was Sie so beunruhigt. Wir sitzen hier und wissen, daß wir diese Sache nicht erledigen können, ohne daß uns ein paar unserer Leute dabei umgebracht werden, also packen wir die Sache an und lassen wir ein paar draufgehen. Ich glaube, Sie sind sentimental geworden, soweit es dieses Mädchen betrifft.»
Tarrant wandte sich um. «Modesty ist nicht eine von unseren Leuten. Und selbst wenn sie es wäre, so fällt doch diese Aaronson-Angelegenheit nicht in unsere Zuständigkeit.» Er wandte sich wieder um, blickte stirnrunzelnd in die milde Frühlingsnacht hinaus und sagte abwesend: «Außerdem ist es für mich Spätherbst, und sie wärmt mir meine alten Knochen.»
Fraser seufzte. «Wenn sie es will, wird sie hingehen und sich die Ausgrabungen anschauen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Und im übrigen ist da zuerst einmal Gabriel, und sie ist von Panama noch nicht zurück.»
Tarrant nickte. Seine Aufmerksamkeit war nur halb auf Fraser gerichtet. Er dachte an einen Mann – oder besser an eine bestimmte Art von Mann, der, wenn er existierte, es fertigbrachte, jemand zu ermorden, aus dem Haus zu treten und die Haustür zu schließen, während ein Wagen mit Besuchern vorfuhr; der kaltblütig vorgeben konnte, eben erst gekommen zu sein, und gleichzeitig höchst amüsiert war über diesen Augenblick unerwarteter Gefahr. Es war abnorm, es war geradezu grauenvoll abnorm.
«Mir gefällt das überhaupt nicht», sagte Tarrant noch einmal. «Aber wie Sie sehr richtig sagen – sie ist ja von Panama noch nicht zurück.» Er schaute auf seine Uhr und zog fünf Stunden ab. «In der Tat, es ist noch gar nicht lange her, seit sie dort landete.»
Modesty Blaise stand im Schatten der Bäume hinter dem Haus. Der gemietete Plymouth war außer Sicht abseits von der Straße geparkt. In keinem der Fenster sah man Licht, und sie wußte, daß da etwas nicht stimmte. Sie zog die MAB-Automatic aus ihrer schwarzen Schultertasche und bewegte sich vorwärts. In Sagastas Büro hatte sie sich umgezogen und trug nun eine durchgeknöpfte Bluse aus schwarzem Krepp, die in einen dunklen, weiten Rock gesteckt war, dazu Mokassins. Der Rock wurde an einer Seite von einem Velero-Verschluß gehalten und konnte mit einem einzigen Griff heruntergerissen werden, um größere Bewegungsfreiheit zu schaffen.
An der hinteren Haustür wartete sie eine Weile. Ihre Sinne und ihr Instinkt suchten verborgene Späher zu wittern. Sie entdeckte nichts. Mit gekräuselten Lippen stieß sie einen kurzen, zwei Töne umfassenden Pfiff in einer Molltonart aus. Fast unmittelbar darauf hörte sie, wie im Haus jemand den Pfiff wiederholte. Sie wartete. Zehn Sekunden später klopfte jemand gegen die Innenseite der hinteren Haustür – dreimal, dann zweimal.
Modesty pochte behutsam mit dem Knauf der
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