Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
Augenblick lang entspannte sich Willies trostloses Gesicht. «Machen Sie sich nicht so fertig», sagte er ein wenig müde. «Als ich jene Maschengitter anbrachte, rechnete ich nicht mit einem Mann wie Delicata.»
«Nein», sagte Tarrant ruhig. «Man berechnet so etwas normalerweise nicht für einen Mann, der ein Stahlmaschengitter mit bloßen Händen wegreißen kann. Ich würde vorschlagen, daß hier jeder aufhört, sich schuldig zu fühlen. Was wir einfach nicht wissen konnten, war, daß wir gemeinsam auf die beiden Enden des gleichen Unternehmens stoßen würden: Willie mit Gabriel in Panama, und wir hier mit einem unbekannten Mann, der sich als Delicata entpuppte.»
«Die Rohre», sagte Willie Garvin und preßte den Handrücken gegen die Stirn. «Himmel – die Rohre.»
Tarrant starrte ihn an. Collier fuhr aus seiner Apathie auf und zeigte einen Ausdruck dumpfen Nichtbegreifens.
«Weiter, Willie», sagte Modesty.
Er schaute sie an, und als er sprach, war seine Stimme heiser vor Selbstverachtung. «Ich bin der dämlichste Kerl, den es gibt. Ich wußte, daß da etwas war, als du vorige Nacht sagtest, wir müßten erst Gabriel erledigen und könnten wegen Delicata später einen Entschluß fassen. Ich wußte, daß da etwas nicht stimmte.» Er erhob sich mit einer plötzlichen Energie, als wäre er unfähig, unter der Wucht seiner eigenen Wut länger stillzusitzen. «Ich habe etwas vergessen, Prinzessin. Als Gabriel und McWhirter mich in Panama in der Zange hatten, gab es auch ein bißchen Bla-Bla, und ich konnte die Frage einflechten, warum sie Dinah eigentlich haben wollten. Gabriel sagte, für archäologische Forschungen. Ich dachte damals, er mache bloß Spaß.»
Collier sagte langsam: «Ich verstehe nicht ganz …»
«Das ist doch sonnenklar.» Willies Stimme war voll Ungeduld. «Dinah kann alles mögliche aufspüren.
Nicht nur Rohre. Edelmetalle. Ich wußte gestern, daß Gabriel hinter Dinah her ist, weil sie etwas, das in der Erde verborgen liegt, aufspüren kann. Er hat mit verdammt gutem Grund gesagt, daß er sie für archäologische Forschungen braucht, und ich vergaß es – selbst dann, als die Prinzessin mir von Aaronson erzählte, der sich über die Ausgrabungen in Mus Sorgen gemacht und Unrat gewittert hatte und von Delicata umgebracht wurde. Ich wußte das alles in der vergangenen Nacht, kannte beide Enden der Geschichte und verknüpfte sie nicht miteinander. Es gibt etwas in Mus, das Delicata und Gabriel haben wollen. Und nur Dinah kann es finden.»
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte Tarrant:
«Das war ein sehr schwaches Verbindungsglied, Willie. Sicher ergibt es in gewisser Weise einen Zusammenhang, aber doch nur, wenn man die Sache in der günstigen Rückschau betrachtet, meine ich.»
«Dann bleiben Sie nur weiter bei der Voraussicht», erklärte Willie aufgebracht. «Ich wußte, daß da etwas war, aber ich konnte es nicht herauskriegen. Wirklich und wahrhaftig – man sollte mich erschießen.»
«Jetzt ist’s genug, Willie», sagte Modesty. Sie sprach keineswegs lauter, doch enthielt ihre Stimme den Peitschenhieb eines Befehls.
Langsam schob er die Hände in die Hosentaschen; langsam entspannte er sich, während Wut und Verachtung in ihm verrauchten. Er lehnte sich mit einer Schulter gegen den Kaminsims und sagte mit völlig veränderter Stimme: «Tut mir leid, Prinzessin.»
Sie schenkte ihm ein rasches Lächeln und schaute dann zu Tarrant. «Wie bald können Sie ein Treffen mit Presteign für uns arrangieren?»
Einen Augenblick lang überlegte Collier, von wem sie eigentlich sprach. Mit Mühe erinnerte er sich, daß ja Sir Howard Presteign die Ausgrabungen in Mus finanzierte. Aber noch immer begriff er nicht.
Auch Tarrant schien ungewiß. «Was haben Sie im Sinn?» fragte er.
«Mus liegt auf algerischem Territorium. Auf offizieller Basis werden wir mit der algerischen Regierung nirgendwohin gelangen. Willie und ich können auf eigene Faust über die Karawanenstraßen Mus erreichen, aber das würde zu lange dauern. Presteign hat in Algier ein Flugzeug mit der offiziellen Genehmigung, zur Beförderung von Vorräten aus und ein zu fliegen.
Darum müssen wir ihn aufsuchen.»
Collier begriff nur vage die während der folgenden ein oder zwei Minuten ablaufende Unterhaltung. Ein kleiner Funke war in ihm lebendig geworden und wuchs jetzt zu einer lebhaften Flamme der Entschlossenheit.
«Ich möchte euch begleiten», sagte er plötzlich.
Modesty brach mitten in einer Bemerkung
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