Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
ging sie zur Tür und fand sie verschlossen, wie sie es nicht anders erwartet hatte. An das Schlafzimmer schloß sich ein kleiner Raum mit Dusche und Toilette an. Als sie geduscht und sich abgetrocknet hatte, zog sie einen Morgenrock an und setzte sich vor den Spiegel, um ihr Haar zu kämmen. Brunel hatte ihr den Morgenrock zur Verfügung gestellt, zusammen mit drei oder vier von Lisas Kleidern. Sie waren zu eng und zu kurz, aber das machte nichts.
Einen Moment lang fragte sie sich, was heute mit ihr geschehen würde, aber dann zwang sie sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Was immer geschah, es würde keinen rationalen Grund haben. Brunel würde sie vielleicht mit aller Höflichkeit wie einen Gast behandeln und ihr seinen Besitz zeigen. Oder man schloß sie für ein paar Stunden in den Schwitzkasten jenseits der Gärten ein, wie schon am zweiten Tag nach der Ankunft.
Sie wußte jetzt, daß diese willkürliche Behandlung keinen Sinn hatte. Der scheinbare Mangel an Logik war selbst eine logische Taktik. Brunel war darauf aus, sie zu brechen, aber nicht auf irgendeine beliebige Art.
Es mußte auf ganz besondere Weise geschehen, so daß sie am Ende in einer Art Herr-Sklave-Beziehung psychologisch an ihn gebunden sein würde. Die abwechselnd brutale und freundliche Behandlung war die erste Stufe, die darauf abzielte, ihr die Orientierung zu nehmen und ihre Selbsteinschätzung zu verändern.
Ihre Kehle war trocken. Sie trat an das Tischchen neben dem Bett und goß sich ein Glas Wasser aus dem großen Krug ein, der dort stand. Das zumindest war etwas, worauf sie sich noch verlassen konnte. Sie gaben ihr immer Wasser. Einmal hatten sie sie einen Tag und eine Nacht lang ohne Essen in ihrem Zimmer eingesperrt, aber Wasser hatte sie bekommen.
Sie nahm eine Haarspange vom Toilettentisch und schlug den Teppich neben dem Bett zurück. In die polierten Dielen waren dünne Linien geritzt – ihr Versuch, einen Plan von Bonaccord zu zeichnen. Einmal war sie bis jetzt auf dem weitläufigen Besitz herumgefahren worden, am Morgen ihrer Ankunft. Brunel hatte sie auf dieses und jenes aufmerksam gemacht und ihr alles erklärt, als sei sie ein Gast des Hauses. Es war ihr wie ein phantastischer Traum vorgekommen, und dieser Eindruck haftete noch immer in ihr.
Bei der Landung in Kigali hatte sich keine Gelegenheit für irgendwelchen Widerstand geboten. Giles Pennyfeather wurde von der Zwangsjacke befreit und mußte als erster das Flugzeug verlassen. Sie hatten ihm ganz einfach gesagt, Modesty würde sterben, wenn er etwas Unbesonnenes täte. Und nachdem Pennyfeather in einem Auto abtransportiert worden war, hatten sie ihr gesagt, er würde sterben, falls sie die geringsten Schwierigkeiten machte. Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen und nicht nach ihm gefragt. Hätte sie um irgend etwas gebeten, Essen, Ruhe, eine Erleichterung oder auch eine Auskunft über Pennyfeather, so hätte das nichts gefruchtet, wäre aber der Beginn der Unterwerfung gewesen.
Sie mußte Giles finden, mußte wissen, wo er war, bevor sie es wagen konnte, an einen Fluchtversuch zu denken. Und in fünf Tagen hatte sie auch nicht den leisesten Anhaltspunkt gefunden, der sie weitergebracht hätte.
Sie schloß die Augen und versuchte sich alles vorzustellen, was sie von Bonaccord gesehen hatte. Es war ein gut geplanter Besitz. Die Vorderfront des Hauses blickte ungefähr nach Ostsüdost; es war ein langgestrecktes, zweistöckiges Gebäude mit zwei Seitenflügeln. Ihr Zimmer lag am Ende des Südflügels. Das Haus war aus Holz gebaut und erinnerte mit seinen überhängenden Dächern über langen Balkonen ein wenig an bayerische Landhäuser. Aber das rustikale Äußere täuschte. Innen war das Haus von zurückhaltender Pracht und verfügte über jeden modernen Komfort. Die Wände waren isoliert, es gab eine Klimaanlage und eine Tiefkühl-Vorratskammer. Die Ausstattung ließ auf die Arbeit eines Innenarchitekten und unbegrenzte Geldmittel schließen. Das Haus stand auf einer ganz leichten Anhöhe, von der aus man über einen mehrere Kilometer breiten Savannestreifen zu einem felsigen Höhenzug hinübersah, hinter dem ein Papyrussumpf begann. Zwischen den beiden Seitenflügeln lag ein riesiger Innenhof, an den sich grüne Rasenflächen und Blumenbeete anschlossen, die durch unterirdisch verlegte Wasserleitungen bewässert wurden.
Südlich der Savanne lag die landwirtschaftliche Nutzfläche von Bonaccord, die bis an einen Fluß reichte, der in den Ruerusee
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