Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
Schlinge unter der Jacke.
Modesty ging ins Haus zurück und räumte die ölgetränkten Lappen fort, die sie ins Feuer geworfen hatte, um Rauch zu erzeugen. Hemmer starrte gedankenverloren auf die Statue und fuhr mit der Hand über die bearbeiteten Rundungen des feingemaserten Holzes.
Sie sagte: «Wirst du imstande sein, sie ohne mich fertigzustellen, Alex? Du sagtest, daß du das, was du willst, jetzt im Holz sehen kannst.»
Er schüttelte den Kopf. «Ich kann es sehen. Aber ich kann es nicht schnitzen, ohne dein Gesicht zu sehen.»
«Soll ich dir das Frühstück richten? Ich habe noch eine Stunde Zeit, und ich brauche nicht lange, um einzupacken.»
«Danke.»
Sie sprachen wenig, doch Modesty schien nicht angespannt, und ihr Benehmen war freundlich und gelöst. Hemmer fühlte sich immer noch verwirrt. Einmal sagte er: «Hältst da mich für einen Feigling, weil ich mich nicht hineinziehen lasse?»
«Nein, keineswegs, Alex. Ich kritisiere dich überhaupt nicht. Willst du noch einen Kaffee?»
Etwas später, nach Sonnenaufgang, kam sie reisefertig aus dem Schlafzimmer; in einem karierten Lumberjack und schwarzen, in die Stiefel gesteckten Slacks, auf dem Kopf eine weiße Pelzkappe und in der Hand ihren Koffer. Sie streichelte seine Wange und gab ihm einen flüchtigen Kuß, dann sagte sie: «Leb wohl, Alex. Paß auf dich auf.»
Er nahm ihr den Koffer ab, trug ihn zum Auto und legte ihn in den Kofferraum. In der Kälte färbten sich ihre gebräunten Wangen rötlich, und er empfand beinahe schmerzlich ihre Schönheit.
Er sagte: «Wirst du zurückkommen?»
«Natürlich. Was stellst du dir vor, Alex?»
«Ich weiß nicht.» Es gelang ihm zu lächeln. «Ich hoffe nur, daß du nicht bloß Dalls wegen zurückkommst, falls du zurückkehrst.»
Sie sagte nichts, und er konnte nichts in ihren Augen lesen. Sie wandte sich um und stieg in den Wagen.
Er schloß die Tür und trat zurück. Der Motor sprang an und brummte. Sie winkte und lenkte den Wagen, dessen Spikereifen sich tief einbissen, vorsichtig über den zerfurchten Schnee. Die Straße lief, sanft ansteigend, durch den Wald zu einem Fahrweg, der in die große Überlandstraße Nummer 4 mündete, die arktische Überlandstraße, die nordwärts nach Ivalo führte. Modesty hatte sich jedoch entschlossen, abzubiegen und die zweitrangige Straße durch Pocka und Inari zu nehmen, weil sie kürzer war.
Der Winter hatte eben erst begonnen, und die Straße würde noch weitgehend schneefrei sein.
Sie sagte: «Liegen Sie bequem, Waldo?»
Seine Stimme antwortete von hinten: «So bequem, daß ich schlafen könnte, Mam’selle. Es begann kalt zu werden, doch seit die Heizung eingeschaltet ist, ist es warm.»
«Schlafen Sie so viel wie möglich. Wir haben eine lange Fahrt vor uns. Und wenn das Wetter in Ivalo keinen Start erlaubt, werden wir lange warten müssen. Vielleicht die ganze Nacht.»
«Aber Sie werden doch nicht mit mir warten, Mam’selle.»
«Widersprechen Sie nicht. Solange Salamander Vier im Spiel ist, bleibe ich an Ihrer Seite. Das haben Sie den Blumen zu verdanken.»
Sie hörte sein leises, sympathisches Lachen und sagte: «Ob Sie schlafen oder nicht, bleiben Sie jedenfalls liegen. Wenn die Männer von Salamander Vier dieses Auto gestern abend nicht genau registriert haben, dann sind sie fehl am Platz. Und wenn sie wissen, daß Sie nach Norden wollten, werden sie aufpassen. Ich hoffe, sie beobachten die Überlandstraße 4, aber ich möchte mich nicht darauf verlassen. Wenn sie mich allein am Lenkrad sehen, lassen sie mich vielleicht in Frieden, aber wenn sie mich mit einem Begleiter sehen, wäre das etwas anderes.»
Eine Stunde später, nachdem sie ein kleines Dorf nördlich von Hanhimaa hinter sich gelassen hatten, heftete sich der graue Mercedes an ihre Spuren. Hier führte die Straße einen langen, flachen Hügel hinauf, rechts große Tannen, links ein kurzer Abhang. Entlang des Abhangs waren, zur Markierung der Straßenbreite, große Steine gesetzt. Eine dünne Lage weichen Schnees bedeckte die Oberfläche.
Modesty weckte Waldo, der vor sich hin döste. «Ich glaube, sie haben unsere Fährte aufgenommen, als wir durch das letzte Dorf fuhren. Was sie vorhaben, weiß ich nicht genau. Doch ich vermute, daß es anfänglich nichts Dramatisches sein wird. Vorläufig hegen sie bloß einen Verdacht.»
«Können wir sie abhängen?» fragte Waldo ruhig.
«Einem Mercedes laufe ich nicht gern davon», sagte sie, «und ich will auch nicht die nächsten Stunden im
Weitere Kostenlose Bücher