Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
sondern fand sein Gleichgewicht und warf sich neuerlich auf sie, das Gesicht von Wut und Schock verzerrt. Sie kam ihm entgegen und erledigte ihn mit einem Sprungtritt; ihr Stiefel traf ihn knapp über dem Herzen.
Während sie in einer geduckten Hocke landete, taumelte er drei Schritte zurück und fiel. Sie hörte den dumpfen Aufprall, als sein Kopf gegen einen der großen Steine schlug, die die Straße säumten. Seine Beine zuckten, dann lag er still.
Vorsichtig befreite sie ihre Hand aus dem Revolver.
Es war eine Smith & Wesson Chief’s Special .38. Sie schob den Hahn zurück, saugte von der Hand die Bluttropfen auf, die aus dem eingeklemmten Fleisch quollen. Dann sicherte sie den Revolver, ging zum Volvo und rief: «Finger weg vom Abzug, Waldo. Ich bin es!»
Ihre Stimme war wütend.
Als sie die hintere Tür öffnete, starrte sie sein blasses Gesicht an und sie sah die MAB in seiner Hand. Langsam setzte er sich auf und sagte: «Als ich den Schuß hörte, dachte ich …»
«Fast hätten Sie richtig geraten.» Er sah, wie sie die Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpreßte, sah, wie ihre blauen Augen dunkel wurden vor Zorn. Sie atmete schwer, nicht aus Erschöpfung, vielmehr aus Ärger.
«Dieser elende Kerl», sagte sie schäumend. «Wenn er
gewußt
hätte, wer ich bin, wenn er nur gewußt hätte, wer im Wagen ist, hätte ich es verstanden. Aber er wußte überhaupt nichts. Für ihn war ich ein Mädchen, das da stand und ‹Salamander Vier› sagte. Daher versuchte er mich umzubringen.» Sie legte den Revolver auf den Vordersitz und zog die Handschuhe an. «Keine Fragen. Einfach heraus mit dem Schießeisen, und bumm!»
Waldo murmelte etwas Mitfühlendes und beobachtete sie, als sie zu dem bewußtlosen Mann ging und sich neben ihn kniete. Ein eisiger Schauer überlief ihn im Bewußtsein, daß er – wäre er an ihrer Stelle gewesen – jetzt tot sein würde. Er sah, wie sie den Handschuh auszog und mit zwei Fingern den Hals des Mannes berührte. Zehn Sekunden später stand sie auf und kam zum Auto zurück.
«Wie geht es ihm?» fragte Waldo.
Sie zuckte die Achseln und runzelte ein wenig ärgerlich die Stirn. «Er schlug mit dem Kopf gegen den Stein und ist, wenn man es präzis ausdrücken will, tot.»
Waldo lachte kurz auf. «Ich werde versuchen, ihn so im Gedächtnis zu behalten, wie er war, als er noch lebte; das wird mir helfen, den Kummer zu ertragen.» Er sah an ihr vorbei auf den Leichnam. «Aber so können wir ihn nicht liegen lassen. Werden Sie einen Autounfall arrangieren?»
«Nein.» Sie sah die leere Straße hinauf und hinunter und zog die Handschuhe an. «Es würde zu lange dauern, das überzeugend zu gestalten. Besser, den einfachsten Weg zu gehen und bloß die Wahrheit ein wenig zu korrigieren. Bleiben Sie hier.»
Sie ging zum Mercedes, fuhr ihn bis knapp an den leblosen Körper heran, stellte den Motor ab und stieg wieder aus. Dann sah er, wie sie den Kofferraum öffnete und Wagenheber, Werkzeugkiste und das Reserverad herausnahm. Sie legte alles auf den Boden und holte aus dem Kofferraum des Volvo einen Kanister Öl.
Sie schraubte die Kappe des Kanisters ab und goß ein wenig Öl auf den trockenen Straßenbelag nahe den Füßen des toten Mannes; hierauf schmierte sie etwas Öl auf dessen Stiefel. Ein- oder zweimal fuhr sie mit dem Fuß durch die Öllache, dann schraubte sie die Kappe wieder an, machte sie jedoch nicht fest zu. Als sie den Kanister niederlegte, tropfte das Öl langsam heraus.
Vor einem Hinterrad kauernd, entnahm sie der Werkzeugkiste einen dünnen Schraubenzieher und stieß ihn in das Reifenprofil. Sie drückte zu, und der Reifen begann Luft zu verlieren. Befriedigt räumte sie den Schraubenzieher wieder ein und wischte mit der behandschuhten Hand ein wenig Staub von der Jacke des Mannes, wo ihr Sprungtritt ihn getroffen hatte.
Nach einem letzten prüfenden Blick auf die Szene ging sie zum Volvo zurück und setzte sich hinter das Lenkrad.
Waldo sagte: «Er machte sich daran, das Rad zu wechseln. Aus dem Kanister tropfte etwas Öl. Er stieg in die Öllache und rutschte aus. Als er fiel, schlug sein Kopf auf den Stein auf. Eine ganz einfache Rekonstruktion des Vorgangs.»
«Ja, es ist besser als etwas Ausgefallenes», sagte Modesty und ließ den Motor an. «Im nächsten Dorf oder in der nächsten Garage werde ich den Unfall melden, um unsere Spuren zu erklären. Ich werde ganz aufgeregt und nervös sein, nicht ganz sicher, ob der Mann tot ist, aber ich glaube es, und
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