Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
klang geistesabwesend. «Nehmen Sie noch ein wenig Kaffee, Sir Gerald?»
«Nein, danke. Wie wollt ihr ihn unter Druck setzen?»
«Kein Druck. Es wird keine Erpressung, selbst wenn wir einen Hebel finden sollten.» Sie zuckte die Achseln.
«Wir werden sehen. Vielleicht spielt er. Vielleicht hat er eine Menge Bargeld zu Hause. Hasardeure wie Leybourn haben das meistens. Mir wäre ein echter Diebstahl am liebsten.»
Willie fragte: «Was wissen Sie über Leybourn, Sir G.?»
«Ladet ihr mich ein, bei einem Diebstahl mitzutun?»
«Warum nicht? Wenn Sie wollten, daß wir in irgendeiner ausländischen Handelsmission einen Safe knacken, hätten Sie keinerlei Gewissensbisse, Sie alte Hyäne», sagte Willie freundlich.
Das ist richtig, dachte Tarrant. Wenn er die Angelegenheit überlegte, war es völlig klar, daß Modestys Popo ganz wesentlich wichtiger war als ein Stoß Geheimakten. Und außerdem würde das Geld dem Hilfswerk für Geisteskranke zugute kommen. Er sah das Amüsement in Modestys Blick, während sie ihn beobachtete, und kam zu einem Entschluß.
«Ich weiß nicht sehr viel», sagte er bedauernd. «Leybourn geht wenig in Gesellschaften. Seine einzige Leidenschaft, abgesehen vom Geschäft, ist Bridge. Er spielt meistens abends bei
Crockfords
, aber nicht mit hohem Einsatz. Und er spielt ausgezeichnet. Seine Villa liegt in Surrey, irgendwo im Viertel der Börsenmakler. Seine Frau kommt aus Java. Sie ist chinesischer Abstammung und soll sehr schön sein, sagt man. Er hat in relativ kurzer Zeit sehr viel Geld gemacht. Seine Geschäfte sind legal, jedoch bereits an der Grenze des Erlaubten und in der City keineswegs geschätzt. Als Gesellschafter wirkt er eher farblos, aber dieser Eindruck ist vermutlich falsch. Er ist zäh und mißtrauisch, und ich glaube, er läßt sich nicht leicht bestehlen. Was seine Zukunft betrifft, kann ich mir nicht vorstellen, daß er sich mit dem Erreichten zufriedengibt: entweder wird er noch wesentlich wohlhabender werden, oder die ganze Sache bricht zusammen.»
«Danke.» Modesty streckte die Beine aus und rieb ihre Hüfte. «Besser, seinen Beitrag zu kassieren, solange noch genügend vorhanden ist, Willie. Ich bin sicher, daß wir einen einfachen Diebstahl bewerkstelligen können.»
«Das wäre nett.» Willie blickte sinnend über die Terrasse. «Es ist lange her, seit wir zum letztenmal gestohlen haben.»
Drei Tage später kam ein Mann vom Elektrizitätswerk in Charles Leybourns Villa in Surrey. Das Haus war in georgianischem Stil erbaut und stand inmitten eines riesigen Parks. Der Mann vom E-Werk hatte sich telefonisch angesagt und erklärt, die Zählerablesung im letzten Quartal sei ungewöhnlich hoch gewesen, man wolle daher einen Kontrollzähler installieren.
Pünktlich zur angegebenen Zeit traf er in seinem kleinen Lieferwagen ein und verbrachte eine Stunde in dem großen Schrank unterhalb der Treppe, wo sich Zähler und Sicherungen befanden. Er war ein großer, kräftiger Mann mit strähnigem Haar und groben Gesichtszügen, sein Akzent eindeutig Birmingham.
Bridget, dem irischen Stubenmädchen, gefiel er, und sie war froh, daß die Haushälterin ihren freien Nachmittag hatte. Sie brachte ihm Tee und führte ihn von Zimmer zu Zimmer, damit er die verschiedenen Auslässe nach einem Erdschluß kontrollieren konnte. Mrs. Leybourn, die im Sonnenzimmer am Schwimmbecken ruhte, bekam er nicht zu Gesicht.
Er forderte Bridget auf, sich abends mit ihm im Dorf zu treffen. Da sie nicht besonders hübsch und entschieden zu dick war, hatte sie es trotz ihres freundlichen Wesens oft erleben müssen, daß man Verabredungen mit ihr nicht einhielt. Sie war daher überaus erfreut, als der Mann vom E-Werk pünktlich zum Rendezvous erschien.
Was später in seinem geräumigen alten Lieferwagen geschah – nach einem Abendessen mit Fisch und Chips –, bereitete ihr eine noch größere Überraschung und viel Vergnügen.
«Ich mußte sie gar nicht ausfragen», sagte Willie am folgenden Abend, als er neben Modesty im Schatten der Bäume stand und das Haus beobachtete. «Sie sprach unaufhörlich. Das heißt, beinahe unaufhörlich.»
Er zögerte und fügte dann mit leichtem Staunen hinzu:
«Das erste Mal, daß ich ein Mädchen mit Perücke bumste.»
«Vielleicht ist es dir vorher nicht aufgefallen», meinte Modesty. «Heutzutage merkt man eine Perücke kaum.»
«Nein, ich spreche ja von meiner eigenen Perücke. Das braune Zottelhaar.» Sie unterdrückte ein Lachen und kniff seinen
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