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Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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Safe war ein Eschenbachmodell aus dem Jahre 1967 mit einem Kombinationsschloß. Ein Musterbeispiel glänzender technischer Arbeit. Er würde auch Gelignit standhalten, außer man bohrte die Platte rund um das Schloß an, und dies würde bei dem gehärteten Stahl viele Stunden in Anspruch nehmen und außerdem Lärm verursachen. Man konnte den Safe auch mit einer thermischen Lanze aufschneiden, aber dieser Apparat war unhandlich, und die Hitze würde den gesamten, nicht feuerfesten Inhalt vernichten. Also blieb bloß das Schloß. Es war eine Sechs-Zahlen-Kombination, die man mit genügend Zeit, Geschick, Geduld und einem kleinen Computer herausfinden konnte.
    Willie stellte seinen Rucksack auf den Boden und sagte leise: «Hier habe ich nur ein paar Minuten zu tun, Prinzessin. Aber im Eßzimmer werde ich etwa zehn Minuten brauchen, um die wichtigste Aufgabe zu erledigen.»
    «Gut. Ich werde inzwischen auf das Mädchen Soo aufpassen.»
    In einer Situation wie dieser, wo sich jemand im Haus befand, war es besser, diesen Jemand zu beobachten, als zu riskieren, plötzlich von ihm überrascht zu werden. Modesty blieb, am Ende der Treppe angelangt, stehen und zog einen Strumpf mit Augenlöchern über den Kopf. Dann ging sie langsam den Gang entlang zu den Schlafzimmern.
    Als sie ihr Ohr an die Tür preßte, konnte sie ein schwaches Geräusch vernehmen, als würde ein Stuhl zurückgeschoben; dann ein Klappern, als würde etwas auf die Glasplatte eines Toilettentischs gestellt.
    Durch einen Spalt über der Tür fiel Licht. Modesty holte aus einem Nebenzimmer einen Stuhl, stellte sich darauf und reckte vorsichtig den Kopf, bis sie in das Schlafzimmer hinuntersehen konnte. Es sah aus, wie Willie es ihr beschrieben hatte, mit einer Tür, die in ein Ankleide- und Badezimmer führte.
    Das Mädchen Soo war schön. Jung, mit elfenbeinfarbiger Haut und großen dunklen Augen über hohen Backenknochen, saß sie in einem leuchtenden Seidenmantel – goldene Drachen auf purpurrotem Grund – vor ihrem Toilettentisch. Modesty konnte ihr Gesicht im Spiegel sehen, und in diesem Augenblick sprach dieses Gesicht von einer stillen, hoffnungslosen Tragödie.
    Die ganze Tragödie lag in den Augen, die wie blind durch ihr eigenes Spiegelbild hindurchsahen. Die Züge waren ruhig, glatt und ausdruckslos, die Augen jedoch waren Brunnen der Qual.
    Langsam, wie im Traum, stand das Mädchen auf und ging durch das Zimmer. Sie nahm von einem der Stühle ein Kissen und setzte sich auf den grünen Teppich vor dem Bett. Einen Augenblick verschwand sie aus Modestys Blickfeld, dann kehrte sie, die Hände in den weiten Ärmeln des Morgenrocks versteckt, zurück und setzte sich mit gekreuzten Beinen auf das Kissen.
    Modesty fühlte eine vage Beklemmung. Der Rücken des Mädchens war ihr zugewandt, der Kopf gebeugt, völlig reglos. Sie streckte die Arme aus und hob sie. Die Ärmel fielen zurück. Mit beiden Händen hielt sie einen orientalischen Dolch mit ziseliertem Griff und goldenem Stichblatt umklammert. Die Klinge war gegen ihre Brust gerichtet. Sie begann den Oberkörper rhythmisch vor- und rückwärts zu bewegen, senkte den Dolch ein wenig, doch die Spitze blieb gegen ihr Herz gerichtet. Durch den Türspalt konnte Modesty leise, traurige Klagerufe in einer ihr fremden Sprache vernehmen.
    Sie stieg von dem Stuhl herunter. Soo Leybourn war im Begriff, sich zu töten, und zwar nach orientalischem Brauch. Das Hin- und herschwingen würde sich verstärken, und plötzlich würde sie nach vorn über die gekreuzten Beine auf das Messer fallen und es ins Herz stoßen.
    Modesty griff nach dem Kongo in ihrer Hüfttasche.
    Ihre Finger umfaßten den Stab zwischen den beiden runden Kugeln aus poliertem Sandelholz, die zu beiden Seiten ihrer Faust hervorragten. Als sie die Tür öffnete, klang das wortlose Klagelied stärker an ihr Ohr. Das Mädchen schwang jetzt in weitem Bogen vor- und rückwärts, die Klinge gegen sich gerichtet.
    Das Klagen endete mit einem dünnen, gespenstischen Ton. Die rot-goldene Figur beugte sich nach hinten. Bevor sie sich für das tödliche Finale nach vorne fallen lassen konnte, hatte Modesty mit drei raschen Schritten das Zimmer durchquert und zugeschlagen – ein kurzer, harter Schlag mit dem Kongo gegen das Nervenzentrum unterhalb der Schädelbasis. Das Messer klirrte vor den überkreuzten Beinen des Mädchens zu Boden, und Modesty kniete neben der bewußtlosen Gestalt, die im Zusammensinken gegen sie fiel.
    Sie spitzte die Lippen und

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