Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
daß sie Rodelles Männer fertigmachen würde, wenn sie kamen. Aber sie kamen nicht. Ich hatte mehr als genug Zeit, die Granaten herzurichten, denn eine Weile geschah überhaupt nichts. Erst später fanden wir heraus, warum, und dann war es kaum zu glauben.
Damals wußten wir nur, daß sie uns lang genug allein ließen, um mir genügend Zeit für die beiden Granaten zu lassen. Eigentlich mehr als genug Zeit, denn es ist eine einfache Arbeit. Sobald ich fertig war, nickte mir die Prinzessin zu. Ich kroch zu der Mauerecke, während die Prinzessin mir Deckung gab, dann warf ich einen kurzen Blick um die Ecke.
Nichts als Dunkelheit. Ich machte ein Zeichen, und die Prinzessin kam zu mir, brachte die Taschenlampe mit, drehte sie jedoch ab. Fünf Minuten warteten wir einfach. Dann sahen wir am anderen Ende des Kellers ein schwaches Licht. Rodelles Männer rückten langsam vor, hinter jedem Pfeiler Deckung suchend.
Ich spürte, daß Modesty fortschlich, und ahnte, was sie tun würde. Eine Minute strahlte ihre Taschenlampe auf und beleuchtete das Mittelstück des Kellers. Ein paar Schüsse bellten, doch ich wußte, daß sie in diesem Augenblick bereits weit weg von der Taschenlampe war und hinter einer Mauerecke Deckung gesucht hatte.
Nicht eine einzige Kugel traf die Taschenlampe, die sie auf einem Stein oder einem Richtblock aus dem 16.
Jahrhundert aufgestellt hatte. Es war auch gleichgültig, denn ich hatte in den ersten zwei Sekunden gesehen, was ich wollte: etwa zwanzig Schritt entfernt drei Männer, halb versteckt hinter den Pfeilern, und ein vierter, etwas näher, der zwischen zwei Pfeilern hin und her sprang.
Ich zog die Nadel aus der Granate, zählte bis drei, warf, so daß sie etwas hinter den Männern auffiel, und sprang zurück. Die Granate machte einen hübschen, eindrucksvollen Krach, und die Splitter schienen zehn Sekunden lang umherzufliegen, auf Wände und Pfeiler aufzuschlagen und wieder abzuprallen. Was dann geschah, war noch eindrucksvoller.
Das Schloß stürzte ein. Ich gehöre zu den wenigen Männern, die mit einer Granate ein Schloß zum Einsturz brachten. Nicht wirklich das ganze Schloß oder die Außenmauern, aber zumindest das Erdgeschoß und noch einiges darüber. Es begann langsam, mit einem unheimlichen Knistern und Knarren, sobald das Echo der Granate verklungen war. In diesem Moment fiel mir ein, daß wir uns unter dem unbewohnten Trakt befanden, jenem Flügel, der – wie Janet mir gesagt hatte – für baufällig erklärt worden war. Auf das Knarren folgte ein lang anhaltendes Krachen, als ein großer Balken barst und zu Boden stürzte – ungefähr eine Million Holzwürmer mußten obdachlos geworden sein. Von diesem Augenblick an war es, als fiele ein Kartenhaus zusammen; ein Stück Kellerdecke nach dem andern kam herab.
Der Staub war wie ein Sandsturm, und wenn die Feuchtigkeit ihn nicht etwas gemildert hätte, wären wir vermutlich erstickt. Ich fühlte mich nicht mehr glücklich, ich war zu Tode erschrocken. Als das Krachen begann, sprang ich auf und rannte schreiend aus meiner Ecke: «Prinzessin!» Fragen Sie mich nicht, wieso ich sie sah, vielleicht weil sie zur Taschenlampe gestürzt war – ein anderer ihrer blitzartigen Denkprozesse –, doch als ich sie sah, lag sie zusammengekrümmt an der Basis eines Wandpfeilers, die Arme um den Kopf geschlungen. Ich nahm einen Anlauf und landete auf ihr.
Später stellte ich fest, daß sie nicht verletzt war, zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, wo ich wie ein Pfannkuchen auf sie fiel, was ihr jeglichen Atem raubte.
Ich konnte sie nahe an meinem Ohr nach Luft ringen hören, und ich spürte ihr Herz klopfen, was mich beruhigte. Ich breitete mich über sie und lauschte dem Splittern der Balken und dem Krachen der großen Steintrümmer, während das Schloß zusammenfiel. Es ging so langsam wie eine Kettenreaktion. Endlich, nach etwa zwei Minuten, war alles still, und wir waren immer noch am Leben.
Unter mir erklang die Stimme der Prinzessin, etwas erstickt und nach Luft ringend: «Ich … möchte dich nicht stören, Willie … aber die Taschenlampe bohrt sich in meine Rippen.»
Ich rollte von ihr herunter, und zwei Kilo Staub fielen von meinem Rücken. «Du wirst wehleidig», sagte ich. «Wie die Prinzessin auf der Erbse. Sie konnte sie durch zwanzig Matratzen spüren.»
Ich hörte ihr Lachen, während sie sich aufsetzte. Sie tappte umher, fand mich, legte einen Augenblick ihre Hand an meine Wange und sagte: «Danke, Willie.»
Eine
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