Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
unschuldiges Lächeln auf den markanten Zügen. Der andere war etwas kleiner und schmaler als Willie. Sein unordentliches braunes Haar sah aus, als hätte er es mit den Fingern gekämmt. Sein glattrasiertes Gesicht war eher blaß und eingefallen, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Seine Hände fuhren fortwährend in die Taschen des schäbigen grünen Cordsamtjacketts, das er über einem dünnen Rollkragenpullover trug. Jede seiner Bewegungen wirkte angestrengt, als müsse er gegen eine schwere Anspannung ankämpfen, und als er sich endlich, neben Willie stehend, zum Haus umwandte, war es, als müsse er dafür all seine Kräfte zusammennehmen. Modesty sagte leise: «Guter Gott, dafür werde ich Willie umbringen. Es ist Luke Fletcher.»
Sie gingen vom Fenster weg, und nach ein paar Sekunden hörten sie, wie die Eingangstür geöffnet wurde und Willies Stimme fröhlich sagte: «Ganz ehrlich, Mr. Fletcher, sie wird Sie nicht auffressen.» Die beiden Männer erschienen in der Tür des Wohnzimmers; Fletcher biß sich auf die Lippen, während Willie ihn sanft vorwärts schob. «Da sind wir, Mr. Fletcher. Das ist doch wohl die junge Dame, die Sie wiedersehen wollten? Prinzessin, das ist Luke Fletcher.»
Modesty lächelte. «Eine Vorstellung ist nicht nötig.»
Sie streckte die Hand aus. «Was für eine freudige Überraschung, Mr. Fletcher.»
«Überraschung?» Er hielt immer noch ihre Hand, drehte sich ängstlich zu Willie um und blickte sie wieder an. «Ich dachte, Mr. Garvin hat …»
«Ach ja, nein, ich glaube nicht, daß ich direkt von Ihnen gesprochen habe», unterbrach Willie und schloß die Augen, als bemühe er sich nachzudenken. «Sie sahen mich in der
Treatmill
und fragten mich, ob Sie Miss Blaise aufsuchen könnten, und ich sagte, daß sie wahrscheinlich sehr glücklich wäre, Sie zu sehen, und ob Sie nicht heute kommen wollten. Aber ich glaube nicht, daß ich ihr gegenüber Ihren Namen erwähnt habe.»
Willie hielt verwirrt inne, denn es war offensichtlich, daß Fletcher nicht mehr zuhörte. Er hatte Modestys Hand losgelassen, kam näher und starrte sie mit ungeheurer Intensität an, während seine Hände leicht ihr Gesicht berührten, ihr Kinn hoben, eine Haarsträhne in Ordnung brachten. Er nickte, atmete schwer, als sei er erschöpft, und seine Finger fuhren sanft über ihren Hals und den Blusenausschnitt.
Öffneten ihn ein wenig.
Sie bewegte sich nicht, sagte aber mit einem Anflug von Amüsement: «Mr. Fletcher, wir sind nicht mehr auf dem Boot, wo Sie halb im Delirium waren.»
Er fuhr zusammen, als hätte man ihn geschlagen, trat zurück und preßte die Fäuste gegen die Schläfen. «O mein Gott, es tut mir so leid. Ich sah Sie an und fragte mich, wie ich Sie am besten festhalten könnte … ich machte das immer mit Bridie, und ich vergaß … ich bitte tausendmal um Entschuldigung.»
«Das macht gar nichts. Alles ist in bester Ordnung. Darf ich Ihnen Sir Gerald Tarrant vorstellen?»
«Oh, guten Tag. Sie sind vermutlich …» Wieder blickte er Modesty an. «Nein, der Name ist anders, also ist dieser Herr nicht Ihr Vater?»
«Nein. Aber er kommt einem Vater sehr nahe. Setzen Sie sich doch, Mr. Fletcher. Wir werden die Teetassen auf unseren Knien schaukeln, und Willie wird alles Eßbare herumreichen und uns bedienen. Darf ich ein paar Fragen an Sie stellen?»
«Natürlich. Aber – aber darf ich Ihnen zuerst danken? Ich meine für das, was Sie getan haben. Ich erinnere mich an alles, von dem Augenblick an, in dem der Hai mich ins Wasser warf.» Er begann zu zittern. «Ich weiß nicht, wie Sie es fertiggebracht haben. Und dann später haben Sie …» Er hob den Kopf und sah sie lange an. «Ich glaube, Sie sind der gütigste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe.»
Höchst amüsiert stellte Tarrant fest, daß Modesty Willie einen wütenden Blick zuwarf, als er ihr die Salatschüssel reichte. «Das sagen alle, Mr. Fletcher», pflichtete ihm Willie ernsthaft bei.
«Ich … ich wäre dankbar, wenn Sie mich Luke nennen.» Er sah verlegen aus. «Miss Blaise nannte mich so, bevor man mich fortschaffte.»
«Ja, das stimmt, obwohl ich es damals nicht wirklich glaubte. Woher wußten Sie, wer ich war, Luke? Ich reiste unter einem anderen Namen.»
«Ja, aber als Sie mich aus dem Wasser zogen, nannten Sie mir Ihren Namen, und er fiel mir später wieder ein.»
Sie schnitt eine Grimasse. «Das war nicht eben klug von mir.»
«Ich habe es niemals erwähnt», fügte er hastig hinzu.
«Im
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