Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
»Ich weiß diese Höflichkeit zu schätzen, Mam’selle.« Er gab einem der Männer seinen Schläger und wies auf das Meer. »Es ist keine solche Verschwendung. Die meisten Bälle kommen nach ein, zwei Stunden zurück, und wir finden sie auf dem Strand.«
Er setzte sich auf einen Metallpfosten und sah Modesty aufmerksam an. Nichts in seinem Benehmen ließ sein Misstrauen ahnen. Es hieß, dass die Blaise sich vor einiger Zeit aus dem Geschäft zurückgezogen hatte.
Aber das hatte wenig zu sagen. Das ›Netz‹ hatte sie aufgelöst, aber es schien Casanova, als habe ihre Organisation in den letzten Jahren mehr Zeit darauf verwendet, rivalisierende Gangs unschädlich zu machen, als Geld zu verdienen. Modesty Blaise hatte ihm ein großes Drogengeschäft verdorben, andererseits hatte sie drei seiner Männer laufen lassen, statt sie ins Meer zu werfen und damit den einzigen Hinweis auf ihre Beteiligung für immer aus dem Weg zu schaffen. Einer der drei Männer war Casanovas Neffe.
Seiner Ansicht nach hatte Modesty Blaise keine Rechnung mehr mit ihm zu begleichen, und daher beunruhigte ihn ihr plötzliches Auftauchen. Sie hatte kurz nach dem Frühstück angerufen und gefragt, ob sie ihn sprechen könne. Er hatte ebenso höflich geantwortet und war sofort misstrauisch geworden. Jetzt erklärte sie, dass sie mit Georges Martel privat sprechen wolle.
Sie sei mit dessen Bruder beim Erdbeben von El Jadida verschüttet worden, und dieser Bruder sei inzwischen gestorben. Er habe sie gebeten, Georges aufzusuchen und ihm eine Nachricht zu übermitteln.
Das alles war durchaus möglich, und eben weil die Geschichte seltsam klang, klang sie auch wahr, aber Casanova war ein Geschäftsmann, und als solcher konnte er nicht verstehen, was Modesty Blaise an der Sache gewinnen konnte. Damit wurde die Geschichte für ihn unglaubwürdig. Vielleicht plante sie, Martel umzubringen, weil einer ihrer Freunde das Opfer von Martels Exekutionen geworden war. Es fiel ihm schwer, ihre Motive zu erraten, weil er ihre Gedankengänge nicht kannte, aber jedenfalls hatte er nicht die Absicht, das Leben eines so wertvollen Mannes wie Martel aufs Spiel zu setzen.
Die Hände im Schoß gefaltet, schaute ihn Modesty Blaise ruhig an. Sie hatte keine Handtasche bei sich, eine Freundlichkeit, für die er dankbar war, denn es ersparte seinen Leuten die Peinlichkeit einer Durchsuchung. Willie Garvin beobachtete einen Motorsegler, der die Baie des Anges ansteuerte.
Casanova fasste einen Entschluss. »Wann möchten Sie mit Georges sprechen, Mam’selle?«, fragte er.
»Sobald es Ihnen passt, M’sieu Casanova.«
»Und wo?«
Sie machte eine kleine Handbewegung. »Hier, wenn Sie wollen.« Das ist ein seltsamer Vorschlag, dachte er, außer sie weiß, dass er abgelehnt wird. Entschuldigend schüttelte er den Kopf. »Georges kommt nicht in dieses Haus, wissen Sie. Wir sind Geschäftspartner, die kaum miteinander verkehren.«
»Ach so. Vielleicht empfängt er mich in seinem Haus oder in seiner Wohnung?«
»Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass er den Besuch von Modesty Blaise in seiner Wohnung schätzen würde. Es könnte da und dort zu Spekulationen Anlass geben. Darf ich fragen, wo Sie wohnen, Mam’selle?«
»Ich habe eine Wohnung im alten Stadtteil von Cannes, aber heute wohnen wir im
Martinez
in Nizza und bleiben dort, bis ich Georges sprechen kann.«
Casanova nickte zerstreut und wandte den Blick dem Meer zu. Nach einer Weile sagte er: »Ich glaube, M’sieu Garvin ist ein begeisterter Fischer. Mein Neffe erzählte mir, dass er sich mit ihm vor ein, zwei Jahren auf einem kleinen Schiff über dieses Thema ausführlich unterhalten hat.«
»Ja, ich fische gern«, sagte Willie. »Wie geht es übrigens Ihrem Neffen?«
»Er ist gesund, danke.« Casanova klatschte in die Hände, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen.
»Ich habe eine Idee. Auch ich habe Freude am Fischen und werde M’sieur Garvin auf meine kleine Jacht einladen. Wir werden ein paar Stunden hinausfahren und zusammen fischen.« Er lächelte Modesty freundlich an. »Inzwischen können Sie sich in Ruhe in Ihrem Hotel mit Georges unterhalten.«
Sie erwiderte sein Lächeln mit zusammengekniffenen Augen und dachte blitzschnell nach. Casanova war also misstrauisch und wollte eine Geisel. Er wollte Willie Garvin als Sicherheit, falls sie eine feindliche Handlung beging. Sein Verdacht war unbegründet, und es sprach nichts dagegen, dass Willie mit ihm kam, aber ihr Instinkt sträubte sich gegen
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