Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
ihm sanft über die Stirn, hielt mit der freien Hand seine Handgelenke und setzte all ihre Widerstandskraft ein, um die Panik zu bekämpfen, die sich ihrer zu bemächtigen drohte. Willie Garvin in einer solchen Verfassung zu sehen, in der sein Verstand bruchstückhaft wie die Teile eines ungeordneten Puzzles war, erschreckte sie über alle Maßen. Sie wußte, daß diese Leute – wer immer sie sein mochten – ihn einer langen und subtilen Gehirnwäsche unterzogen haben mußten, die das Ziel hatte, ihn dazu zu bringen, sie zu töten, sobald er sie sah. Das Wie und das Warum waren dabei im Moment unwichtig. Sie hatten es getan und waren beinahe erfolgreich gewesen. Das Messer wäre in ihrer Kehle gelandet, wenn Willie nicht im letzten Augenblick die Richtung seines Wurfes um einen Bruchteil geändert hätte.
Sie wußte, daß er in bewußtlosem Zustand zu ihnen gebracht worden sein mußte. Wäre er vor der bevorstehenden Gehirnwäsche gewarnt worden, hätte er tief im Unterbewußtsein mit Hilfe der mentalen Techniken, die er vor langer Zeit bei seinem Aufenthalt beim Mystiker Sivaji in der Thar-Wüste hoch oben im Norden von Jodhpur gelernt hatte, Widerstandskräfte aufbauen können. Aber dazu konnte er keine Gelegenheit gehabt haben. Als er zu ihnen gebracht wurde, war er hilflos, und dann hatten sie mit der Zerstörung und Umformung seines Verstandes begonnen. Das war wohl die schrecklichste Gewalttat, die es gab, in gewisser Weise verwerflicher als Mord. Eine plötzliche Welle wütenden Hasses pumpte Adrenalin in ihr Blut und half ihr, die letzten Reste von Panik zu beseitigen. Sie betrachtete Willie, sah den Schweiß, der trotz der Kühle in der Zelle auf seinem Körper ausgebrochen war, sah, daß sogar die Gesichtsmuskeln steif vor Anspannung waren, merkte, wie tief und unregelmäßig er atmete.
Sie setzte sich nieder und dachte darüber nach, wie sie es am besten anstellen sollte, ihn zu heilen und wieder zu dem zu machen, der er war, wobei sie in sich keinen Zweifel aufkommen ließ, daß das möglich war.
Sowohl sein Verstand als auch sein Körper waren durch ungeheure Krämpfe blockiert. Wenn sie einen von beiden lockern konnte, würde sich das auf den anderen auswirken. Gelang es ihr, den Verstand zu beruhigen, würde der Körper sich entspannen. Dann konnte sie einfach durch ihre Nähe, durch Sprechen, durch die Erinnerung an vergangene Zeiten, durch besänftigende Worte das ungeordnete Puzzle seines Verstandes wieder zusammensetzen helfen. Begann sie damit, seinen Körper dazu zu bringen, sich zu entspannen, dann würde sich sein Verstand entkrampfen und sich ihr öffnen.
Sie wußte, daß der größte Teil des Schocks, den er erlitten hatte, auf die plötzliche Erkenntnis zurückzuführen war, daß er sie um Haaresbreite getötet hätte. Es war daher wichtig für ihn zu wissen, daß sie ihn verstand und daß ihn dieser Vorfall nichts von ihrer Zuneigung gekostet hatte. Unsicher kaute sie an den Lippen, während sie ihn beobachtete und die ungeheure Spannung wahrnahm, die ihn mit einem lähmenden Griff festhielt. Es war unbedingt notwendig, diese Spannung auf irgendeine Weise zu lösen …
Sie machte es sich auf der Koje neben ihm bequem, schlang einen Arm um seinen Nacken, bettete seinen Kopf an ihre Schulter und streichelte weiter seine schweißnasse Stirn. »Willielieb« flüsterte sie, »hörst du mich? Weißt du, daß ich es bin, Modesty?«
Sein Kopf bewegte sich in schwachem Nicken. Sie küßte sanft seine Schläfe und sagte: »Hör zu, Willie. Ich brauche dringend deine Hilfe, und wir müssen uns daher beeilen, dich wieder fit zu bekommen. Fit, verstehst du?«
Wieder das bestätigende Nicken mit dem Kopf. Ein oder zwei undeutlich gesprochene Worte wurden an ihrer Schulter gemurmelt. »Ich versuch es, Prinzessin … ich versuch es …«
»Ich weiß, daß du’s versuchst, Willie. Schau … ich bin mir nicht sicher, was das beste ist, aber wir müssen diesen Knoten lösen. Normalerweise entspannst du dich mit dem netten warmen Körper eines Mädchen, aber zur Zeit bin ich das einzige verfügbare Mädchen. Würde das helfen, Willie? Du brauchst es nur zu sagen. Würde es dir helfen, wenn ich mit dir schlafe?«
Sein Arm umschlang ihren Körper und hielt sie fest an sich gepreßt, und sie fühlte an ihrer Schulter das rasche Kopfschütteln, als er heiser flüsterte: »Nein …«
Unwillkürlich mußte sie lachen, umarmte ihn und meinte: »Du alter Schmeichler.«
Er stieß einen wortlosen Laut aus,
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