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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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schmerzlosen Tod als gesundes Fleisch auf dem Teller moderner, gebildeter Menschen landete, die bewusst und nachhaltig genießen wollten. Also das genaue Gegenteil von dem, was in der Meinung unserer Zielgruppe die Massentierhaltung ausmachte: unter unwürdigen Bedingungen dahinvegetierende Schweine, deren Fleisch zu Lebzeiten mit Antibiotika gemästet und im Todeskampf mit Angsthormonen überflutet wurde und daher nur zur billigen Fütterung des Prekariats zu gebrauchen war.
    Leider durfte ich diese Karte nicht ausspielen, da das wichtigste Standbein der Siebendt GmbH genau diesen Massenmarkt bediente. Erst wenn die Exoten rentabel starben, wollte PS den Massenmarkt verlassen.
    Trotz dieser Einschränkung war mein Job nicht allzu schwierig. Das Bild der frei umherschweifenden Wildtierherden in afrikanischen Savannen wurde in endlosen Fernsehberichten, Fotokalendern und nicht zuletzt in Reiseprospekten, die Fotosafaris in Namibia zum Schnäppchenpreis anboten, aufrechterhalten. Der Appetit unserer Kundschaft auf exotische Gerichte stieg unaufhaltsam und war nicht mehr damit zu befriedigen, dass man Rindfleisch einfach mal asiatisch zubereitete. Nein, es sollte auch kein Rindfleisch mehr sein, sondern Bison.
    Bei dem Stichwort Bison, das ich in das Mindmap einfügte, welches ich für eine Besprechung mit PS anlegte, mussteich wieder an Daniel denken. Er hatte Bisonfleisch geliebt. In New York war ein spezielles Restaurant, das sich darauf spezialisiert hatte, praktisch zu seiner Zweitwohnung geworden. Ob die dort Bio-Bison anboten? Und wenn nicht: Ob er tatsächlich darauf verzichtete? Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich wieder auf meine Arbeit.
    »Nun?«
    PS saß in locker entspannter Haltung am Kopfende seines Besprechungstisches, der mit mattschwarzem Leder bezogen war. Nach den Ausmaßen des Leders zu urteilen, das die Platte nahtlos überspannte, musste es mindestens von einem Elefanten stammen. Oder einem Mammut – falls es noch irgendwo eins gab.
    Ich räusperte mich. »Ich denke, dass wir unsere Kommunikation zielgruppenspezifischer platzieren sollten«, begann ich. »Die üblichen Medien der gebildeten Genießer bieten zu große Streuverluste, denn etliche dieser Medien werden auch von Menschen gelesen, die eine eher verhaltene Beziehung zum Verzehr von importiertem Wildfleisch oder Fleisch generell haben.«
    Damit hatte ich eine schöne Formulierung für die Tatsache gefunden, dass viele linksalternative Akademiker das Abschießen und Importieren von Wildtieren für eine weitere Variante kolonialer Machtausübung hielten, mit der wir unseren parasitären Lebensstil nun auch in die Steppen Afrikas exportierten. Svenja hatte im letzten Jahr eine Hausarbeit zu dem Thema verfasst, die mir bei der Vorbereitung dieser Besprechung unerwartet detailreich in Erinnerung gekommen war.
    PS nickte.
    »Menschen, die einen emotionalen Bezug zu Afrika haben, den Kontinent bereisen möchten oder schon einen Urlaubdort verbracht haben, sind eher für den Verzehr von afrikanischem Wildfleisch zu begeistern. Wahrscheinlich haben diejenigen, die dort waren, schon davon gekostet und freuen sich, wenn sie nun hier ihre Urlaubserinnerungen wieder aufleben lassen können.«
    Mit derartigen Situationen kannte ich mich aus. Meine Eltern hatten jedes Jahr nach den Sommerferien einen »landestypischen« Abend für Nachbarn und Freunde ausgerichtet. In manchen Jahren, wenn wir mit dem Wohnwagen in Italien, Frankreich oder Spanien gewesen waren, freute ich mich darauf. Nach den Urlauben in Norwegen, Schlesien und Holland bestand mein Abendbrot aus Käsestullen und Schokolade.
    »Und wie genau erreichen wir unsere Zielgruppe?«, fragte PS.
    »Wir filtern die Afrika-Reisenden direkt heraus. Durch Anzeigen in entsprechenden Ausgaben von Reisemagazinen und geografischen Journalen, durch Werbung in Reisekatalogen und natürlich durch direkte, zielgruppengenaue Internet-Kampagnen.«
    »Wie geht das?«, fragte PS.
    Ich fiel auf seine Frage nicht herein. Natürlich kannte er die Antwort. Er wollte mich nur testen.
    »Im Internet hinterlassen die User Spuren, wenn sie Eingaben in Suchmaschinen machen, wenn sie in Social Networks auf die ›Gefällt-mir‹-Buttons klicken oder was auch immer sie sonst tun. Sogar wenn sie auf einer virtuellen Landkarte ein bestimmtes Ziel eingeben, tun sie das nicht unbemerkt. Jeder, der sich auf diese Weise als potenzieller Kunde zu erkennen gibt, bekommt von uns Werbung in Form von Bannern, als

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