Möhrchenprinz - Roman
Meerbusch-Büderich abzweigen, aber dort kannte ich mich nicht aus, wusste nicht, wie ich von dort nach Düsseldorf zurückkäme.
Etwa eine halbe Stunde flussab lag die Rheinfähre von Langst-Kierst nach Kaiserswerth und von dort fuhr eine Straßenbahn bis fast vor meine Haustür.
Ich entschied mich für den Weg nach vorn.
In Kaiserswerth bevölkerten Ausflügler die Rheinpromenade, die Gassen und Cafés. Ich gönnte mir ein großes Eis und eine Eineinhalbliterflasche Mineralwasser und stieg müde und verschwitzt in die Straßenbahn. Was ich jetzt brauchte, waren eine heiße Dusche, einen Kaffee und eine große Portion Nudeln. Kohlenhydrate mit scharfer Sauce halfen bei mir gegen fast alle Beschwerden.
Schon im Flur stolperte ich über einen riesigen Hartschalenkoffer und hatte im ersten Moment ein geradezu unwirkliches Glücksgefühl. Daniel zog aus!
Leider gewöhnten sich meine Augen schnell an das Dämmerlicht im Flur und damit kam die Erkenntnis, dass der Koffer gar nicht wie Daniels aussah, denn dieser hier war rosa.
In der Küche saßen meine Mietschmarotzer Conny und Mike mit meiner Mutter.
Meine Mutter und Conny hielten sich an den Händen und heulten, Mike drehte einen Joint.
»Hi«, sagte Conny, als sie mich in der Tür erblickte. »Gut, dass du kommst.«
Das wollte ich nun überhaupt nicht hören. Ich wollte nicht gebraucht werden, wollte niemanden in meiner Nähe haben, der Ansprüche an mich stellte, wollte einfach nur meine Ruhe. Das war offenbar nicht möglich.
»Ich brauche einen Kaffee«, war das Einzige, was mir einfiel.
Natürlich hätte ich sofort zu meiner Mutter eilen müssen, um zu hören, was ihr fehlte. Genau genommen hätte ich sie sofort in den Arm nehmen und trösten müssen, noch bevor ich sie nach dem Grund für die Tränenflut fragte. Aber ich konnte einfach nicht. Ich hatte nach dem Verrat durch Daniel immer noch keine Lust, mich mit den Problemen anderer Menschen auseinanderzusetzen. Auch nicht, wenn es sich um meine Mutter handelte. Und schon gar nicht, wenn diese mit einem riesengroßen, rosafarbenen Koffer anrückte.
Mike gab meiner Mutter den Joint.
Ich setzte Kaffee auf.
Meine Mutter zog an dem Joint und begann zu husten.
Mike grinste zufrieden und zeigte ihr den hochgereckten Daumen.
Conny raunte mir zu, dass ich Kaffee für alle machen sollte.
Ich setzte mehr Kaffee auf.
Ich würde mich nicht ewig vor der familiären Verpflichtung drücken können, aber erst einmal ging ich ins Bad und kühlte mir die heiß gelaufenen Füße mit einem kalten Wasserguss. Dann stellte ich mich den Herausforderungen, kehrte in die Küche zurück, setzte mich an den Tisch und fragte: »Was ist denn los?«
Meine Mutter zog inzwischen an dem Joint wie eine Ertrinkende am Mundstück der Pressluftflasche. Mike lachte laut über ihre Gier und freute sich offensichtlich schon auf das Ergebnis.
»Dein Vater hat mich verlassen«, brachte meine Mutter zwischen dem abebbenden Schluchzen und dem gierigen Saugen hervor. »Er zieht zu seinem Freund.«
»Zu Klaus?«, fragte ich verdutzt.
Klaus war Papas bester Freund und wohnte nur ein paar Häuser von meinen Eltern entfernt. Klaus war mit Evelyne verheiratet, die Papa nicht ausstehen konnte, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich persönlich hegte den Verdacht, dass auch zwischen Klaus und Evelyne eine gegenseitige Abneigung herrschte, aber das ging mich nichts an und war mir daher egal. Trotzdem konnte ich mir nicht erklären, warum Papa gerade zu Klaus ziehen sollte.
»Doch nicht zu Klaus!«, keifte meine Mutter. »Dein Vater ist schwul und jeder im Dorf weiß Bescheid!«
Erst einmal sagte ich gar nichts, denn die Eröffnung, dass der eigene Vater schwul war, traf mich unvorbereitet. Ich hatte, wie schon vormittags auf dem Markt, den Eindruck, in einer Luftblase zu stecken. Die Geräusche, die Mike und Conny machten, als sie aufstanden und sich in Connys Zimmer verkrümelten, drangen wie durch einen Filter zu mir. Meine Gedanken wiederholten immer nur das eine Wort: schwul. Dann gesellte sich ein zweites dazu: Papa. Schwul. Papa. Schwul. Keine Ahnung, wie lange ichin dieser Schleife festhing, aber irgendwann hörte ich mich selbst fragen: »Willst du auch Nudeln?«
Als ich keine Antwort bekam, löste ich den Blick von dem Fleck auf dem Tisch und schaute auf. Meine Mutter hatte mich nicht gehört. Sie starrte in ihren Kaffeebecher und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Dann begann sie ein Lied zu summen. Nach ein paar Takten
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