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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erkannte ich die Melodie von »Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür«, der Schwulenhymne von Marianne Rosenberg.
    Ich dankte Mike heimlich für den Joint, verschob die Nudeln auf später und ging duschen.
    Ich duschte ausgiebig, was mit dem neuen Durchlauferhitzer luxuriöser war als je zuvor, und beeilte mich auch danach nicht. Maniküre, Pediküre, Augenbrauenzupfen, das alles kam normalerweise zu kurz, wurde husch-husch erledigt, weil ich dafür morgens vor der Arbeit keine Zeit hatte und ansonsten meist jemand das Bad belegte, wenn mich mal die Lust auf Wellness überkam. Jetzt hatte ich das Bad für mich und keine Veranlassung, mich zu beeilen. Im Gegenteil. Ich wollte gar nicht mehr raus aus der dampfigen Höhle, aber irgendwann machte sich doch der Hunger so stark bemerkbar, dass ich mich anzog, die Tür öffnete und einigermaßen gelassen in den Flur trat. Das gerade mühsam wiedererlangte seelische Gleichgewicht geriet mit einem einzigen Satz aus dem Mund meines heimgekehrten Bruders gleich wieder in erhebliche Schieflage. Dieser Satz lautete:
    »Natürlich kannst du hier wohnen.«
    Er galt meiner Mutter, die Daniel mit glasigem Blick anstarrte.
    Mein Bruder bemerkte mich und sprach gleich weiter. »Ich denke, es ist am besten, wenn ihr zwei Mädels ein Zimmer teilt. Mama wird ja nicht bei mir schlafen wollen.«
    »Keinesfalls«, lallte meine Mutter und meinte damit die Gemeinschaft mit Daniel.
    »Keinesfalls«, erklärte ich und meinte damit die Gemeinschaft mit meiner Mutter.
    »Es ist ein Notfall«, erklärte Daniel.
    »Genau.« Ich spuckte das Wort förmlich aus. »Mein Leben ist ein einziger Notfall, seit du hier aufgetaucht bist. Du hast dich in meine Wohnung gedrängt, du hast mit deiner Aktion heute auf dem Markt meinen Arbeitgeber geschädigt und meinen Job aufs Spiel gesetzt und du wirst jetzt nicht auch noch für mich entscheiden, dass ich mein Zimmer mit meiner Mutter teile.«
    So stoned Mama auch war, das hatte sie begriffen. Sie begann wieder zu heulen.
    »Nun wirf die Dinge nicht durcheinander«, sagte Daniel. »Diese Sache hier ist ein familiärer Notfall und hat mit der Aktion vorhin überhaupt nichts zu tun.«
    Wäre ich nicht so erledigt gewesen, hätte ich mich augenblicklich wieder auf eine lange Wanderung begeben, und zwar nicht nur bis zur nächsten Brücke. Ich wäre den ganzen Rhein hinuntergelaufen, bis nach Rotterdam, und dann als blinder Passagier auf einem Containerschiff nach Hongkong oder Panama gefahren – egal, nur weg von hier. Aber dafür fehlte mir die Energie.
    »Ich verstehe sowieso nicht, warum Mama nicht zu Hause bleibt«, sagte ich matt.
    »Weil das ganze Dorf sich das Maul über sie zerreißt, die fünfunddreißig Jahre mit einem Schwulen gelebt und nix geschnallt hat«, sagte Daniel.
    Meine Mutter heulte lauter.
    »Ist nicht böse gemeint, nun reg dich nicht auf«, sagte Daniel und legte Mama einen Arm um die Schulter. Dann sah er mich an. »Komm, lass uns dein Zimmer fertig machen.«
    Ich gab den aussichtslosen Kampf gegen die verschworenen Familienbande fürs Erste auf und kochte stattdessenein halbes Kilo Nudeln mit scharfer Sauce, die aus Sahne, Tomatenmark, Paprikapulver und gemahlenem Chili bestand. Meine Nervennahrung schlechthin, da konnte mir jede Schokolade gestohlen bleiben.
    »Du weißt schon, dass Sahne sehr klimaschädlich ist?«, sagte Daniel, als er verschwitzt vom Umräumen wieder in die Küche kam. »Milchprodukte überhaupt, aber Sahne und Käse besonders.«
    »Halt die Klappe.«
    »Aber man kann ja mal eine Ausnahme machen«, fuhr er grinsend fort, nachdem er am Topf geschnuppert hatte. »Ich habe ganz schönen Kohldampf.«
    »Finger weg von meinen Nudeln, von meinem Leben und von meinem Job«, ranzte ich ihn an, schüttete die Sauce in den Topf mit den abgegossenen Nudeln und schloss mich zum Essen im Bad ein. Ein eigenes Zimmer hatte ich ja jetzt nicht mehr.
    Meine Mutter verbrachte den Großteil des Wochenendes auf Daniels Balkon, was mir wenigstens tagsüber etwas Privatsphäre gewährte. Die Nächte allerdings waren die Hölle. Ich ging sowohl Samstag- als auch Sonntagabend ins Kino. Keine Ahnung, welche Filme ich sah, ich wollte einfach nur weg von zu Hause, weg von meiner heulenden Mutter, die gelegentlich mit Conny gemeinsam heulte, wenn ich auch nicht wusste, weswegen die phlegmatische Schlafpille flennte. Außerdem wollte ich weg von Daniel, mit dem ich nicht mehr gesprochen hatte, seit er meine Mutter in meinem Zimmer

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