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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einquartiert hatte, und das Denken abschalten wollte ich auch. Spät nachts schlich ich dann in mein Zimmer, in dem meine Mutter bereits schlief, und machte es mir im Schlafsack auf der Luftmatratze so bequem es eben ging. Es ging nicht besonders gut. In der Nacht von Sonntag auf Montag warf ich mich so häufig von rechtsnach links und von links nach rechts, dass meine Mutter aufwachte.
    »Leonie, bist du wach?«
    Ich seufzte leise. »Ja, Mama.«
    »Was habe ich nur falsch gemacht?«
    Von welchem Standpunkt aus?, dachte ich. Aus meiner Sicht war es einfach. Du hast dich nach dem Umzug aufs Land überangepasst. Hast dich von allem verabschiedet, was dir in der Stadt noch wichtig gewesen war: deinem gepflegten Aussehen, dem kulturellen Anspruch, dem Kontakt mit den ehemaligen Kolleginnen, überhaupt dem Kontakt mit Menschen in anderen Lebenssituationen. Wenn man aber nur von Gleichdenkenden umgeben ist, wird man selbstgerecht und träge. Deine Gedanken kreisten nur um deine kleine Welt. Das alles hatte allerdings nichts mit der Tatsache zu tun, dass mein Vater meine Mutter verlassen hatte, deshalb antwortete ich ins Dunkel hinein: »Nichts, Mama. Du hast nichts falsch gemacht. Papa auch nicht. Es ist einfach so.«
    »Danke, Kleines«, murmelte meine Mutter. Im nächsten Moment schnarchte sie entspannt in meinem Bett, während ich weiter wach lag.
    Ich überlegte, ins Haus meiner Eltern umzusiedeln, das ja jetzt leer stand, aber es lag zu weit außerhalb. Ich bräuchte ein Auto, um zur Arbeit zu fahren, wollte mir aber keines anschaffen. So ganz hatte ich die Hoffnung auf eine passende Wohnung schließlich noch nicht aufgegeben, auch wenn der Wohnungsmarkt wie leer gefegt und das Preisniveau aller neueren Angebote für mich unerschwinglich war. Gegen fünf Uhr schlief ich endlich ein und entsprechend gerädert fühlte ich mich, als lausige zwei Stunden später der Wecker meine Nachtruhe beendete.

12
    Der »Anschlag«, wie die Aktion inzwischen genannt wurde, war am Montagmorgen das Thema schlechthin im Büro. Der alte Siebendt hatte noch am Wochenende Anzeige gegen unbekannt erstattet wegen Sachbeschädigung und Verleumdung. Der Schaden, der sich aus der unverkäuflichkeit der Marktwaren berechnete, lag im vierstelligen Bereich, der Schaden aus der Verleumdung ließ sich nicht so einfach kalkulieren. Der Anwalt, der die Firma seit zwanzig Jahren vertrat und auch in diesem Fall eine führende Rolle übernehmen sollte, war bereits im Haus, als ich kam. All das erfuhr ich von Josef, der in heller Aufregung die Polizei, den Anwalt und mehrere Vertreter der Presse empfangen beziehungsweise abgewimmelt hatte. Er sah alt und müde aus.
    »Sie werden sehen, es stellt sich am Schluss alles nur als Dummer-Jungen-Streich heraus«, sagte ich matt, obwohl ich hoffte, dass sich gar nichts herausstellte, denn das hätte ja bedeutet, dass die Identitäten der Aktivisten bekannt geworden wären. Ohne Identität keine Information über die Hintergründe der Tat.
    Es sei denn, es gäbe ein anonymes Bekennerschreiben, schoss es mir durch den Kopf.
    Auf dem Weg durch die Flure zu meinem Büro dachte ich über diese Möglichkeit nach. Vielleicht sollte ich einBekennerschreiben veröffentlichen, in dem ich irgendeinen blöden Grund für die Aktion angab und mich dann öffentlich dafür entschuldigte. Ich würde meine Ersparnisse verwenden, um den tatsächlichen Sachschaden zu begleichen und hoffen, dass Siebendt dann die Sache auf sich beruhen ließe. Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als PS mich schon zur Krisensitzung in sein Büro bat.
    »In der Krise zeigt sich, was die PR eines Unternehmens wert ist«, sagte er in einem sehr sachlich-kühlen Tonfall statt Begrüßung.
    Oder was die PR-Managerin wert ist, dachte ich bei mir.
    Der Handkuss am Freitag hatte eine Intimität entstehen lassen, von der nichts mehr übrig war. Das und die Tatsache, dass mein professioneller Einstieg total in die Hose gegangen war, hatte ich Daniels Aktion zu verdanken. Ich verfluchte ihn heimlich aber herzhaft, bevor ich mich auf meine Gegner konzentrierte. Der Seniorchef und der Anwalt waren ebenfalls anwesend, was mein Unwohlsein verstärkte. Siebendt senior war das, was man sich spontan vorstellte, wenn das Wort »Patriarch« fiel. Er war noch größer als sein Sohn und leicht übergewichtig. Sein graues Haar war streng zurückgekämmt, der dunkelblaue Anzug saß tadellos und die Krawatte sah aus, als stammte sie aus einer englischen

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