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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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völlig an mir vorbeigegangen. Und dass sie bereits Einladungen zu Vorstellungsgesprächen hatte, brachte mein Weltbild ins Wanken. Ich hatte Kommilitonen, die auch nach fünfzig Bewerbungen noch kein einziges Vorstellungsgespräch hatten. Das waren gut ausgebildete, flexible Leute mit überdurchschnittlicher Motivation und der Bereitschaft, für wenig Geld zu arbeiten, um Berufserfahrung zu sammeln. Aber meine Mutter hatte bereits Vorstellungsgespräche, obwohl ich von keiner einzigen Bewerbung gehört hatte. Da mussten Beziehungen im Spiel sein.
    »Wo denn?«
    Sie nannte eine Parfümeriekette und einen Kosmetiksalon, die ich beide nur von außen kannte.
    »Das klingt ja prima«, sagte ich und meinte es auch so. »Wie bist du so schnell daran gekommen?«
    Mama stand immer noch vor dem Spiegel, drehte sich wieder einmal um sich selbst in dem Versuch, auch einen Blick auf die Rückansicht zu erhaschen, und nannte einen Namen, der mir irgendwie bekannt vorkam.
    »Deine ehemalige Kollegin?«
    »Genau. Sie betreibt den Kosmetiksalon, ihr Bruder hat eine leitende Funktion bei dieser Parfümeriekette.«
    Ich hätte fast durch die Zähne gepfiffen, so beeindruckt war ich davon, dass Mama alte Kontakte genutzt hatte, um eine Arbeitsstelle zu finden.
    Plötzlich ließ sie die Schultern hängen und blickte mich mit feuchten Augen an. »Meinst du, ich habe überhaupt eine Chance?«
    Nein, hätte ich wahrheitsgemäß antworten müssen. Du bist nervlich labil, du siehst immer noch aus wie eine Frau, die viele Jahre lang zu wenig für sich getan hat, und du strahlst entweder Niedergeschlagenheit oder Zickigkeit aus, weil du so unglaublich verletzt worden bist, dass du um dich trittst wie ein Pferd, das man mit Stacheldraht aufzäumt. Aber ich schluckte alle gemeinen Bemerkungen runter, umarmte sie spontan und sagte: »Ja, ich glaube ganz fest daran, dass du eine Chance hast.«
    Dann standen wir beide eng umschlungen und heulend mitten in der Damenoberbekleidungsabteilung eines bekannten deutschen Modefilialisten. Und es war mir kein bisschen peinlich.
    Jedenfalls nicht, bis PS auftauchte.
    »Leonie?«, fragte die Stimme, die ich unter Tausenden wiedererkennen würde. »Ist alles in Ordnung?«
    Blöde Frage, wenn einem Rotz und Wasser übers Gesicht laufen und man lautstark die Nase hochzieht, damit die Absonderungen nicht das unbezahlte Kleidungsstück der Mutter ruinieren.
    Ich drehte mich um und versuchte ein Lächeln, trotz meines vermutlich grässlichen Aussehens, trotz der Peinlichkeit, beim öffentlichen Heulen erwischt worden zu sein, und trotz der blöden Frage. Immerhin kam sie von PS.
    PS stand vor mir in einer Jeans und einem rosafarbenen Poloshirt, das seine Sonnenbräune unterstrich. An seinem Arm hing eine Frau, die ich für seine Mutter hielt. Das lag nicht nur an ihrem Alter, sondern auch an einer gewissen Ähnlichkeit zwischen ihr und PS. Ich wurde rot.
    So hatte ich mir das Zusammentreffen mit meiner künftigen Schwiegermutter nicht vorgestellt. Den Senior kannte ich zwar schon, aber das war ja rein geschäftlich. Privat hingegen hätte PS mich irgendwann, eines schönen, von mir herbeigeträumten Tages, seinen Eltern als die Frau seines Herzens vorgestellt. Sein Vater hätte mir lächelnd die Hand geschüttelt und mir gesagt, dass er mich seit Langem schätze, und seine Mutter hätte mich auf beide Wangen geküsst und geflötet, dass sie ja schon so viel von mir gehört habe.
    An einen Wangenkuss war bei all der Tränenflüssigkeit nicht zu denken. Auch mein sonstiges Erscheinungsbild schien keine große Begeisterung hervorzurufen, denn sie betrachtete mich mit einer Mischung aus Mitleid und Ablehnung. Öffentliches Heulen stand bei der Unternehmergattin Siebendt offenbar nicht auf der Liste der erwünschten Beschäftigungen der zukünftigen Schwiegertochter.
    Sofern sie überhaupt in diesen Kategorien dachte. PS hatte sich zwar ein paar Mal mir gegenüber sehr charmant verhalten, aber wild herumgeknutscht hatte er mit diesem mageren Model hinter dem Pferdestall. Die Knutschtussi würde sicher nicht in der Öffentlichkeit heulen. Und wenn doch, hätte sie keine rote Nase, sondern allenfalls eine Träne im Augenwinkel. Von Größe, Statur und Schönheit würde sie natürlich auch eher zu PS passen. Ich spürte, wie die Tränen wieder zu fließen beginnen wollten, drängte sie aber erfolgreich zurück.
    Ich war also nicht die zukünftige Schwiegertochter dieser Frau, die mich immer noch abwartend betrachtete,

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