Möhrchenprinz - Roman
Daniel schon so vereinbart.
Mama lief knallrot an und stammelte, dann sei es ja gut. Danach haben wir das Thema nie wieder angesprochen. Nur Daniel habe ich einige Jahre später noch einmal nach der Vier-Wochen-Frist gefragt. Ob die grundsätzlich gelte – also auch für ihn. Er lachte mich aus. »Natürlich nicht, Sweetie. Das habe ich einer Zwölfjährigen gesagt, damit sie nicht als Häkchen auf der Erfolgsstatistik des Schulcasanovas landet. Inzwischen wirst du wohl selbst entscheiden können, wer für dich infrage kommt. Und für Jungs gelten solche Regeln sowieso nicht.«
Im Zuge dieser Erinnerungen fragte ich mich, wie Daniel es eigentlich in den letzten Monaten mit seinem Liebesleben hielt. Ob der Schwur, seinen Lebensstil zu ändern, um Svenja würdig zu sein, auch Enthaltsamkeit beinhaltete? Ich würde ihn bei Gelegenheit darauf ansprechen.
»Was lächelst du denn so verträumt?«
Mamas barscher Ton brachte mich in die Gegenwart zurück.
»Ich dachte gerade an etwas, das Daniel …«
Weiter kam ich nicht, denn auf dem Weg durchs Foyer zu unseren Sitzplätzen stand plötzlich Papa vor uns.
»Da sind ja meine beiden Liebsten!«, sagte er, zwinkerte mir zu und wandte sich an Mama. »Sybille …«
Mama war blass geworden. »Du wagst es …«, zischte sie ihn an.
Papa guckte irritiert. »Was? Ins Theater zu gehen?«
Ich hauchte Papa einen Kuss auf die Wange, Mama zog mich von ihm weg.
»Lass uns unsere Plätze suchen.« Ihre Stimme war so eisig, dass ich dachte, ihre Stimmbänder würden splittern.
Ich war total überrascht. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, dass meine Eltern sich wirklich gestritten haben könnten. Natürlich war mir klar gewesen, dass meine Mutter verletzt war, weil mein Vater sie verlassen hatte, aber ich hatte in meinem ganzen Leben keinen hässlichen Streit zwischen ihnen erlebt. Diskussionen, ja. Meinungsverschiedenheiten, die über längere Zeit ausgetragen wurden, auch mit erregten Disputen, aber nie Streit. Kein lautes Wort. Dass meine Mutter jetzt so giftig reagierte, zeigte mir eine ganz andere Seite an ihr.
»Sybille, bitte, können wir uns nicht wie zwei vernünftige Menschen …«
Mama blieb stehen, drehte sich wieder zu ihrem Noch-Ehemann um und ließ einen unsagbar verächtlichen Blick von Papas neuer Frisur über seinen schicken, hellblauen Leinenanzug auf seine weißen Schuhe wandern.
»Wenn du aussiehst wie ein schwuler Friseur im zweiten Frühling kannst du von mir nicht erwarten, dass ich dich ernst nehme.«
Papa und mir verschlug es gleichermaßen die Sprache. Ich lief knallrot an, Papa wurde bleich. Die umstehenden Theatergäste hatten das Schauspiel verfolgt – genau dafür waren sie schließlich hier. Für Emotionen, Leidenschaft, Drama. Allerdings hatte ich nicht vorgehabt, Teil der Aufführung zu sein. Genau genommen hatte ich nicht einmal vorgehabt, Teil des Publikums zu sein.
Und Papa war wirklich verletzt, das war kein Theater.
Ich gab den Versuch auf, im Boden zu versinken, und trat zu meinem Vater. »Du siehst toll aus«, flüsterte ich ihm zu, während ich ihn umarmte. »Mama ist noch im Schockzustand, bitte verzeih ihr.«
Dann rannte ich hinter meiner Mutter her, die hocherhobenenHauptes zur Saaltür schritt. Ich holte sie ein, als sie unsere Eintrittskarten vorzeigte, nahm meinen Abschnitt entgegen und folgte ihr zu unseren Sitzplätzen.
Wir sahen ›Macbeth‹, eins von Mamas Lieblingsstücken. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich im Verlauf des Stücks zunehmend mit der egozentrischen, machtgeilen und manipulativen Lady Macbeth identifizierte, und hegte die schlimmsten Befürchtungen für ihre persönliche Entwicklung. Wäre es denkbar, dass sie eines Tages ausrastete und als Überschrift in einem Sensationsblatt endete? Familiendrama: Verlassene Ehefrau tötet schwulen Gatten! Waren denn alle meine Familienangehörigen völlig durchgeknallt?
Weder in der Pause noch nach der Vorstellung konnte ich Papa entdecken. Ich war sicher, dass er das Theater verlassen hatte, bevor der Vorhang sich öffnete, denn sein Schmerz über die Zurückweisung und die Beleidigung war echt gewesen. Meine Nacht brachte daher wieder keinen erholsamen Schlaf, sondern weitere Albträume, sodass ich am Samstagmorgen in denkbar schlechter Verfassung am Frühstückstisch erschien.
Daniel und Mama saßen vor ihren Kaffeebechern und stritten sich.
»… wenigstens in einen Bioladen. Aber doch nicht in so einen Chemiepark!«, maulte
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