Möhrchenprinz - Roman
Daniel.
Bioladen? Chemiepark? In welche Diskussion war ich denn hier geraten?
»Aber ich will keine gammeligen Möhren verkaufen, sondern Kosmetik. Davon verstehe ich etwas.«
Meine Mutter machte Ernst mit der Jobsuche! Das war immerhin eine gute Nachricht. Die Untätigkeit auf dem Land, der sie in den letzten Jahren gefrönt hatte, war in meinen Augen nicht zu ihrem Vorteil gewesen. Zudem musstesie in ihrer jetzigen Situation dringend unter Leute – und ich war froh, wenn das nicht nur an mir hängen blieb.
»Das ist doch Jahre her«, wandte Daniel ein.
Der Begriff Jahrzehnte wäre auch nicht falsch gewesen.
»Ich habe eine qualifizierte Ausbildung als Kosmetikerin und ich war fünf Jahre als Sekretärin in einem der größten und renommiertesten Kosmetikunternehmen der Welt beschäftigt. Diese Erfahrung verjährt nicht.«
»Du bist ein bisschen …«
Ich blieb wie angewurzelt auf halbem Weg zur Kaffeemaschine stehen. Wenn Daniel jetzt sagte: »… zu fett, zu alt, zu geschmacklos gekleidet und mit deinen roten Haaren eine Zumutung für jede Kundin«, dann wäre das zwar korrekt, könnte aber auch den Startschuss für die bereits erwähnte Familientragödie bedeuten. Der Messerblock stand in Mamas Reichweite, wenn auch außerhalb ihres Blickfeldes, aber in diesen besonderen Situationen, also kurz bevor jemand eine Bluttat begeht, soll sich die Wahrnehmung plötzlich schärfen und die Reaktionsgeschwindigkeit dramatisch zulegen. Jedenfalls habe ich das mal gelesen. Deshalb hielt ich mir lieber den Fluchtweg offen.
»… aus der Übung«, vollendete Daniel den Satz.
Ich stellte fest, dass ich den Atem angehalten hatte, und holte tief Luft. Das war ja gerade noch einmal gut gegangen.
»Das lässt sich beheben«, sagte Mama.
»Kleidung und Frisur benötigen auch ein Update«, fuhr Daniel fort.
»Darum werden deine Schwester und ich uns gleich als Erstes kümmern.«
Wie bitte?
»Dann ist es ja gut.« Damit war für Daniel das Thema erledigt.
»Ach, da ist sie ja.« Mama blickte mich mit strengem Blick an. »Iss was, Kind, dann können wir los, bevor es zu voll wird in der Stadt.«
Meine Weigerung wurde ignoriert. Mein Argument, ich müsse waschen und bügeln und noch etwas für die Firma ausarbeiten, wurde mit der Bemerkung weggewischt, das könne ich alles noch am Sonntag erledigen. Der Einwand, ich müsse außerdem für mich selbst einige Klamotten kaufen, entlockte meiner Mutter ein Lächeln.
»Wie schön, dann schauen wir einfach gemeinsam.«
Ich wies sie nicht darauf hin, dass wir kaum in denselben Geschäften einkauften. Ich bestand nicht darauf, mein Wochenende selbst zu gestalten. Ich sagte ihr nicht, dass ich keine Lust hätte, nach Altweiberklamotten in Größe vierundvierzig zu suchen. Ich sagte gar nichts, sondern gab auf, ließ mich auf einen Stuhl sinken, trank den Kaffee, den Daniel mir mit einem maliziösen Grinsen servierte, aß mein Müsli und zog bequeme Schuhe an. Wenn meine Mutter ihr gesamtes Erscheinungsbild erneuern wollte, wären wir den ganzen Tag beschäftigt.
Wir zogen durch unzählige Modegeschäfte. Ich liebte diejenigen unter den Konsumtempeln, die Espressobars für die Begleiter ihrer Kundinnen eingerichtet hatten. Zwar war ich regelmäßig die einzige Frau unter mehreren Ehemännern oder Lebensgefährten, die gelangweilt oder genervt in ihren Kaffeesatz schauten, aber ich suchte die Lounges ja nicht auf, um gepflegte Konversation zu betreiben, sondern um dem Shoppingkreuzzug meiner Mutter zu entfliehen. Sie probierte alles, was die Verkäuferinnen anschleppten, diskutierte mit ihnen, befragte andere Kundinnen nach deren Meinung und rief mit lauter Stimme nach mir, damit ich ihr sagte, ob die Sachen zu knapp, zu weit, zu bunt, zu grau und insgesamt passend oder unpassend seien. Siekaufte Hosen, Röcke, Blusen und Pullover und zwei Hosenanzüge.
»Wofür sind die denn gut?«, fragte ich verwirrt.
»Ich habe Vorstellungsgespräche«, sagte sie, als sei es das Normalste der Welt.
»Vorstellungsgespräche?«
Mama runzelte die Stirn. »Glaubst du, ich hätte keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt? Du bist aber auch wirklich immer so negativ.«
Ich hatte nichts dergleichen gesagt, aber natürlich unterstellte sie mir wieder einmal nur das Schlechteste. Was allerdings in diesem Fall der Wahrheit entsprach. Dass sie, wie ich erst am Frühstückstisch erfahren hatte, über eine Arbeit nachdachte, war positiv. Dass sie bereits aktiv geworden war und sich beworben hatte, war
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