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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Aufregungen der letzten Tage war ich froh, abends niemanden in der Wohnung anzutreffen. So konnte ich in Ruhe duschen, Kaffee trinken und ein paar Nudelnessen. Danach ging es mir besser, aber es war erst acht Uhr an einem schönen, sonnigen Abend Anfang Juni, und den wollte ich dann doch nicht zu Hause verbringen. Außerdem hatte ich, abgesehen von dem Gespräch in Gebärdensprache im »eat meat« und der kurzen Umarmung im Theater noch gar nicht mit meinem Vater über sein neues Leben gesprochen, also rief ich ihn an.
    »Wo bist du?«, fragte ich.
    »Zu Hause.«
    »Wo ist das?«
    Ich konnte hören, wie er stutzte, dann lachte er leise. »Die Frage ist berechtigt, aber im Moment bin ich dort, wo wir dreißig Jahre lang als Familie zusammengelebt haben. Ich muss ein paar Sachen holen.«
    Ich war enttäuscht und natürlich hörte Papa das sogar durch das Telefon. »Ich bin hier aber fertig und wollte gerade wieder los. Wollen wir uns gleich noch in der Stadt treffen?«
    Er klingelte eine halbe Stunde später. Seine helle Baumwollhose und das hellblaue Poloshirt waren modisch, mein Vater war gebräunt und machte einen sportlichen Eindruck. Dynamischer. Jünger. Ich stellte überrascht fest, dass mein Vater ein attraktiver Mann war.
    Dieser Mensch führte mich zu einem Eiscafé, das ich nicht kannte. Wir bestellten zwei Erdbeerbecher, saßen entspannt und schweigend nebeneinander, bis der Kellner zwei monströse Glasvasen voller bunter Eiskugeln, frischer Erdbeeren, Schokoladensauce und Sahne vor uns hinstellte. Erst als wir beide den Mund voll hatten, begannen wir zu sprechen.
    »Es tut mir leid, dass es so gelaufen ist«, sagte Papa. »Ich habe seit Monaten versucht, es euch zu sagen, aber irgendwie …«
    »Wie lange weißt du denn schon, dass du …«
    Er zuckte mit den Schultern, fischte eine Erdbeere aus der Schokoladensauce, häufte etwas Sahne darauf und zerdrückte sie mit der Zunge am Gaumen. »Ich hatte nur zwei Freundinnen vor deiner Mutter, habe mich aber auch nicht für Männer interessiert. Ich dachte wohl, ich wäre einfach nicht der leidenschaftliche Typ.«
    Ich versteckte mein Grinsen hinter einem Berg Sahne. Papa war mundfaul aber humorvoll, langweilig aber zuverlässig, ruhig aber hilfsbereit. Das Wort Leidenschaft jedenfalls wäre mir wahrlich nie in den Sinn gekommen.
    »Als dann im Büro die neue Kollegin kam, Sonja, ich habe von ihr erzählt …«
    Ich nickte. Den Erzählungen meines Vaters nach musste diese Sonja eine Frau mit dem Aussehen von Penelope Cruz und der Intelligenz von Stephen Hawking sein.
    »… da habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass ich ganz anders reagiere als meine Kollegen. Die konnten gar nicht genug um sie herum balzen. Ich hingegen bekam mein erstes Herzklopfen in ihrer Gegenwart, als ihr Freund sie abholen kam. Das ist ungefähr sieben Jahre her.«
    Mit offenem Mund starrte ich meinen Vater an. Sieben Jahre sind eine verdammt lange Zeit.
    »Ich habe natürlich vor mir selbst so getan, als sei alles ganz normal, habe mich selbst belogen nach Strich und Faden, bis ich eines Tages im Fernsehen zufällig einen Bericht über Männer gesehen habe, die nach zwanzig, dreißig oder sogar vierzig Ehejahren feststellten oder sich selbst eingestanden, dass sie schwul waren. Das hat mich umgehauen.«
    »Das war letztes Jahr Ostern«, sagte ich spontan.
    Er nickte.
    Papa war damals von heute auf morgen wie ausgewechselt gewesen. Er, der eigentlich nie krank gewesen war,hatte plötzlich unspezifische Magenschmerzen, die ihn zu einer ganzen Reihe von Ärzten führten. Es gab keinen körperlichen Befund.
    »Irgendwann wollte ich es wirklich wissen und bin zu einer Beratungsstelle gegangen. Dort hat man mir einen Psychotherapeuten empfohlen, der mir geholfen hat, die Wahrheit herauszufinden und auch zu akzeptieren.«
    »Aber selbst dann hast du nichts gesagt.«
    Es hatte nicht vorwurfsvoll klingen sollen, aber es war trotzdem so herausgekommen.
    Papa nickte in seinen Eisbecher, der bereits halb leer war. Wir beide waren sehr gut im Simultan-Essen-und-Reden. Das hatte Mama immer auf die Palme gebracht.
    »Ich wollte unsere Familie nicht aufgeben. Bildete mir ein, es könne doch eigentlich alles so bleiben, wie es war. Es war ja nicht so, dass ich deine Mutter nicht mehr liebte. Ich liebe sie immer noch, wenn auch nicht körperlich.« Er schob sich eine halbe Kugel Eis in den Mund und musste kurz pausieren. »Aber dann traf ich Mauro.«
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie mein Vater in eine

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