Möhrchenprinz - Roman
also, dass er wirklich nicht zum Spionieren gekommen war. Tin-Tin jedenfalls hatte ich nicht fragen können, denn sie hatte ich seitdem auch nicht mehr gesehen.
Thomas begann die Lebensmittel auszupacken und holte Schneidbrett und Messer aus der Schublade. Wie war er eigentlich in die Wohnung gekommen? Besaß er einenSchlüssel? Wohnte er inzwischen auch hier? Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass das nicht der Fall war, hatte aber trotzdem das Gefühl, langsam den Überblick zu verlieren.
»Erstens«, sagte Daniel mit einem breiten Grinsen im Gesicht, »nutzen ja, aber nicht für eine Flugreise. Da muss ich konsequent sein, Sweetie. Das kann ich nicht unterstützen.«
Ich ballte die Fäuste.
»Und zweitens kannst du jetzt keinen Koffer mehr kaufen.«
Ich hätte die geballten Fäuste am liebsten mit aller Gewalt gegen Daniels Brust getrommelt. Mein Bruder genoss es, mich zappeln zu lassen. Was hatte ich ihm bloß getan, dass er mir das Leben derartig schwer machte? Und auch noch diese diebische Freude dabei empfand?
»Dann frage ich Papa«, sagte ich wütend.
Mein Vater bedauerte zutiefst, konnte mir aber auch nicht helfen. Sein alter Koffer ließ sich nicht schließen. Ich verfluchte die Tatsache, dass meine Eltern einen Wohnwagen besaßen, mit dem die Familie jahrelang verreist war. Da brauchte man gar keinen Koffer. Das rosafarbene Teil meiner Mutter war das einzige funktionsfähige Relikt aus der Zeit vor dem Caravan und das würde ich nicht nehmen, basta.
In Gedanken ging ich die Liste meiner Freunde oder Studienkolleginnen und Kollegen durch, aber von denen war ja niemand mehr in Düsseldorf. Wo sollte ich innerhalb von sechsunddreißig Stunden einen vernünftigen Koffer herzaubern? Ich warf das Handy in die Ecke und ging missmutig in die Küche, um mit Thomas und Daniel zu essen. Eigentlich nett, dass die beiden mich eingeladen hatten, aber die Stimmung am Tisch war angespannt, weil ich sauer war. Thomas versuchte mich aufzuheitern und erzählte, was ervor ein paar Jahren bei der Besichtigung eines neuen Safariparks erlebt hatte.
»Es war der Rundgang für Journalisten und ausgewählte Gäste und quasi die Generalprobe für die offizielle Eröffnung. Im Grunde war alles ganz in Ordnung, bis wir in das Affengehege kamen. Das war eine große Halle, in der sich die Affen frei bewegen konnten.«
»Die Tierhaltung in Zoos und Parks ist hoch problematisch. Überhaupt nicht artgerecht«, warf Daniel ein.
Weder Thomas noch ich beachteten ihn.
»Durch dieses Gehege führte ein Weg, der durch ein kleines Geländer von vielleicht dreißig Zentimeter Höhe abgetrennt war. Natürlich war das Geländer nur eine symbolische Grenze, aber die Wärter hatten die Affen so abgerichtet, dass sie diese Grenze akzeptierten. Zumindest dachten die Wärter das bis zu dieser Besichtigungstour.«
Daniel reichte mir die Schüssel mit den Nudeln und ich nahm reichlich. Thomas runzelte nur kurz die Stirn, erzählte dann aber bereitwillig weiter.
»Die Wärter hatten Wasserpistolen, um besonders vorwitzige Affen, die sich in die verbotenen Zonen vorwagten, nass zu spritzen. Da die Affen das nicht mochten, hielten sie sich an die vorgegebenen Grenzen. Zumindest, solange die Wärter in ihre Richtung schauten.«
Ich vernachlässigte meine Nudeln mit der rotbunten Möhren-Paprika-Zwiebel-Curry-Sauce und lauschte gebannt. Thomas machte eine Pause, schaufelte sich Nudeln und Sauce in den Mund und kaute genüsslich.
»Sobald ein Wärter den Affen den Rücken zudrehte, hopsten sie übermütig auf dem Geländer herum oder überquerten den Weg. Drehte der Wärter sich wieder zu ihnen hin, taten sie ganz unschuldig und saßen schön hinter dem Zaun.«
Ich musste grinsen.
»Einer der Affen trieb es besonders toll, er turnte wie ein Artist auf dem Geländer herum, schlug Purzelbäume auf dem Weg und war sofort der Liebling aller Anwesenden. Die Wärter waren gerade mit einer ganzen Horde von Strolchen beschäftigt, als der kleine Clown einem Journalisten die Kamera wegnahm. Er verzog sich damit auf einen Baum und natürlich hatten alle Angst, dass er das teure Ding fallen lassen würde. Stattdessen legte er das Objektiv in einer Astgabel ab und spielte an dem Apparat herum. Als die Wärter das gute Stück endlich gerettet hatten, war ein erstklassiger Schnappschuss von dem Besitzer der Kamera drauf. Einen so dämlichen Gesichtsausdruck hätte er bei sich selbst nie für möglich gehalten.«
Thomas versuchte, den Gesichtsausdruck
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